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USA:Warum der Vorwahlkampf so häufig für Überraschungen sorgt

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Laut Umfragen hat Joe Biden die besten Chancen, Präsidentschaftskandidat der Demokraten zu werden. Doch der Ausgang ist ungewiss. Ein Überblick in Grafiken.

Von Christian Endt und Sarah Unterhitzenberger

Am diesem Montag beginnt im US-Bundesstaat Iowa die Vorwahlsaison: Zwischen 3. Februar und dem 7. Juni finden in allen Bundesstaaten und Territorien Abstimmungen darüber statt, wer für die Demokraten in den Präsidentschaftswahlkampf ziehen wird. Formal halten auch die Republikaner in den meisten Staaten Vorwahlen ab. Da Amtsinhaber Donald Trump aber keinen prominenten Herausforderer hat, ist das reine Formsache.

Bei den Demokraten ist das Rennen dagegen offen. In den landesweiten Umfragen liegt der ehemalige Vizepräsident Joe Biden vorne. Doch erstens ist sein Vorsprung mit sieben Prozentpunkten gegenüber Bernie Sanders nicht gerade komfortabel. Und zweitens sagen die nationalen Umfragen nur bedingt etwas darüber aus, wer die besten Chancen auf die Nominierung hat. Das hat mit dem Wahlsystem zu tun (das wir hier ausführlich erklären): Die Delegierten, die auf dem Parteitag im Juli über den Kandidaten entscheiden, werden von den einzelnen Bundesstaaten entsendet, und zwar zeitlich versetzt. Eine besonders wichtige Rolle spielen jene Staaten, die als erstes mit den Vorwahlen an der Reihe sind.

Wer bei den vier Abstimmungen im Februar - Iowa, New Hampshire, Nevada und South Carolina - vorne liegt, kann mit ordentlich Rückenwind für das restliche Rennen rechnen. Das liegt etwa an der erhöhten Medienaufmerksamkeit, die diesen Vorwahlsiegern zuteil wird.

Eine relativ kleine Gruppe von Wählern trifft also eine Vorentscheidung darüber, wer im Herbst in die eigentliche Wahl für das mächtigste Staatsamt der Welt geht.

Ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt, wie sehr die nationalen Umfragen vor Beginn der Vorwahlsaison daneben liegen können. Zwar sind Wahlumfragen generell relativ zuverlässig, das gilt für die USA wie für Deutschland. Aber Vorwahlen innerhalb einer Partei sind für die Meinungsforscher wesentlich kniffliger als allgemeine Wahlen. Bei den beiden jüngsten amerikanischen Vorwahlrunden, 2012 und 2016, zeichneten sich die späteren Sieger frühzeitig ab. Doch 2008 lag der spätere Präsident Barack Obama lange weit hinter Hillary Clinton; bei den Republikanern zog Mitt Romney erst spät an seinen Kontrahenten vorbei. 2004 lag der Demokrat John Kerry in den Umfragen ebenfalls hinter seinen Mitbewerbern, setzte sich aber in den Vorwahlen durch. Die Umfragen geben also einen brauchbaren ersten Hinweise darauf, wer die Vorwahl später gewinnen könnte - eine zuverlässige Prognose ermöglichen sie nicht.

Meinungsforscher erheben daher eigene Umfragen in den wichtigen Vorwahlstaaten. Diese Befragungen finden jedoch seltener statt - es liegen also weniger Datenpunkte vor, Ausreißer fallen stärker ins Gewicht. Häufig werden außerdem nur ein paar Hundert Leute befragt; und es ist schwierig vorherzusagen, wer von den Befragten tatsächlich an den Vorwahlen teilnehmen wird (was in vielen Staaten mit einem mehrstündigen Aufwand verbunden ist). Daher ist die Abweichung bei solchen Vorwahl-Umfragen hoch: "Ein Vorsprung von zehn, gar von fünfzehn oder mehr Prozentpunkten ist in den Vorwahlen nicht unbedingt eine sichere Sache", schreibt der Statistiker Nate Silver. Diese Erfahrung musste beispielsweise Hillary Clinton machen, der Umfragen bei der Vorwahl von 2016 im Bundesstaat Michigan einen Vorsprung von mehr als 20 Prozentpunkten bescheinigten - und die diesen Staat an Bernie Sanders verlor. (Trotzdem setzte sich Clinton letztlich als Kandidatin durch, bevor sie in der allgemeinen Wahl gegen Donald Trump verlor.)

Da Umfragen sowohl in den Staaten als auch bundesweit irren können, blicken Beobachter auf weitere Indikatoren, die sich in der Vergangenheit als einigermaßen aussagekräftig erwiesen haben. Dazu zählen sogenannte Prognosemärkte: Dabei wetten Menschen auf den Ausgang bestimmter Ereignisse. Aus der Verteilung der Einsätze errechnen die Anbieter Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Möglichkeiten. Laut einer Übersicht des Portals RealClearPolitics gibt es in den Wettbüros gerade ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Bernie Sanders und Joe Biden, wobei Sanders vor wenigen Tagen die Führung übernommen hat.

Bei einem anderen Merkmal liegt Sanders dagegen weit hinter Biden: bei den sogenannten Endorsements, also der Zahl prominenter Unterstützer aus der Partei-Elite. An deren Votum orientieren sich die Parteimitglieder möglicherweise bei den Vorwahlen, daher geben auch sie einen gewissen Hinweis darauf, wer sich am Ende durchsetzen könnte. Für die Fehlbarkeit dieses Indikators steht vor allem der Name Donald Trump. Die große Mehrheit des Spitzenpersonals der Republikaner, also Gouverneure, Senatoren und Abgeordnete, sprach sich im Vorwahlkampf 2016 gegen den späteren Präsidenten aus.

Nate Silver errechnet auf der Webseite FiveThirtyEight aus allen vorliegenden Umfragedaten, aber auch aus weiteren Kriterien wie den Endorsements, mittels eines aufwendigen statistischen Modells eine Gesamtprognose. Derzufolge hat Joe Biden aktuell die besten Chancen, als Herausforderer gegen Präsident Trump anzutreten. Allerdings gab Silver für Bidens Sieg bisher immer eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 50 Prozent an. Es ist also gut möglich, dass am Ende doch Bernie Sanders oder Elizabeth Warren gewinnt - oder jemand ganz anderes. 2016 hatte Silver mit mehr als siebzigprozentiger Sicherheit vorhergesagt, dass Hillary Clinton Präsidentin wird. Es kam bekanntlich anders.

Mitarbeit: Benedict Witzenberger

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SZ vom 01.02.2020
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