Süddeutsche Zeitung

Midterms:Wahlchaos in Florida

Lesezeit: 3 min

Von Christian Zaschke, New York

Mark Judge, Richter am Amtsgericht in Floridas Hauptstadt Tallahassee, brachte es auf den Punkt: "Wir machen uns lächerlich vor den Augen der Welt, bei jeder Wahl", sagte er, "und trotzdem beschließen wir, nichts dagegen zu tun." Was er meint: In Florida bricht nach Wahlen jedes Mal Chaos aus. Regelmäßig gehen Stimmen verloren oder tauchen verspätet auf. Auch in diesem Jahr hat sich Florida nach den Kongresswahlen blamiert. Die Geschichten sind zum Teil amüsant, sie wirken wie Schildbürgerstreiche, das Problem ist jedoch, dass das Chaos in Florida das Vertrauen in die Wahl zerstört und die Demokratie untergräbt.

Am Donnerstag sind die Neuauszählungen der Senats- und Gouverneurswahlen abgeschlossen worden. Diese waren nötig geworden, weil die ursprünglichen Zählungen zu sehr knappen Ergebnissen geführt hatten und nicht sicher war, ob alle per Briefwahl abgegebenen Stimmen berücksichtigt worden waren. Der Neuauszählung zufolge wird der Republikaner Rick Scott das Amt des Senators vom Demokraten Bill Nelson übernehmen. Allerdings beträgt der Vorsprung von Scott nur 12 603 Stimmen, was 0,15 Prozentpunkten entspricht. In Florida muss von Hand nachgezählt werden, wenn der Vorsprung geringer als 0,25 Prozentpunkte ist. Die Saga geht also weiter. Am nächsten Dienstag soll es ein offizielles Ergebnis geben.

In der Gouverneurswahl hat der Republikaner Ron DeSantis 33 683 Stimmen mehr als der Demokrat Andrew Gillum, das sind 0,41 Prozentpunkte. Hier kann also auf eine manuelle Nachzählung verzichtet werden. Gillum hat aber angekündigt, er werde nicht ruhen, bis sicher ist, dass wirklich jede abgegebene Stimme gezählt wurde. Er wird von einem Anwaltsteam aus Washington unterstützt. Es könnte sich also auch in dieser Wahl bis zu einem offiziellen Ergebnis noch hinziehen.

Erst Bush, dann Trump

Im Jahr 2000 hatte Florida länger als einen Monat gebraucht, um die Stimmen der Präsidentschaftswahl auszuzählen, und als ein Ergebnis vorlag, gab es nur Verlierer, weil niemand mehr an die Rechtmäßigkeit der Auszählung glauben wollte. Dank des äußerst knappen Sieges in Florida zog George W. Bush ins Weiße Haus ein, obwohl er landesweit weniger Stimmen gesammelt hatte als der Demokrat Al Gore. Dank Florida verfügte er aber über die Mehrheit der Wahlmänner und -frauen. Das war damals ein Novum in der amerikanischen Geschichte. Der nächste Kandidat, der ins Weiße Haus einzog, obwohl er landesweit nicht die Mehrheit der Stimmen errungen hatte, war Donald Trump.

Einer der Gründe für das permanente Chaos ist die Tatsache, dass jedes der 67 Counties die Wahl selber organisiert. Sie dürfen etwa eigene Wahlzettel entwerfen. Im Broward County war der Wahlzettel so verwirrend, dass viele Wähler offenbar nicht bemerkt haben, dass auch eine Senatswahl stattfindet. Es gibt im County 25 000 sogenannte under votes. Gemeint ist, dass die Wähler zwar in anderen Abstimmungen ihr Kreuz setzten, nicht aber in der Frage, wer nächster Senator werden soll. Broward County wählt überwiegend demokratisch. Es ist daher gut möglich, dass die Demokraten den Sitz im Senat verloren haben, weil in diesem einen County der Wahlzettel zu kompliziert war.

Im Broward County ist das Chaos immer besonders ausgeprägt. Im Jahr 2004 gingen dort 58 000 Stimmzettel verloren. 2012 tauchten eine Woche nach der Wahl 1000 ungezählte Stimmen auf. In diesem Jahr meldete das County die Ergebnisse der Neuauszählung drei Minuten nach der offiziellen Deadline, so dass sie nicht mehr akzeptiert wurden. Wahlhelfer hatten tagelang bis tief in die Nacht gezählt. Ein Mitarbeiter sagte: "Ich habe mir gerade für nichts und wieder nichts den Arsch abgearbeitet." Bei der nun anstehenden Auszählung per Hand wird das County unter ganz besonderer Beobachtung stehen.

Präsident Trump bemüht sich derweil darum, das Vertrauen noch weiter zu unterminieren. In Kalifornien gewännen die Demokraten nur deshalb, weil massenweise illegale Einwanderer wählen gingen, sagte er. Es gibt nicht den leisesten Hinweis darauf, dass illegale Einwanderer wählen, Trump behauptet das einfach.

Im selben Interview legte er dar, er habe gesehen, wie Leute, die nicht wählen dürften, gleich mehrmals abstimmten. Sie gingen vom Wahllokal zurück zu ihrem Auto, führte er aus, und dort zögen sie einen anderen Hut an oder ein anderes Hemd, und dann stimmten sie noch einmal ab. Diese Aussage ist hanebüchen, weil man im Wählerregister stehen muss und vermerkt wird, wer bereits abgestimmt hat. Sie legt allerdings den Schluss nahe, dass der Präsident nicht weiß, wie die Wahl, das Herzstück der Demokratie, funktioniert.

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Quelle:
SZ vom 17.11.2018
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