Süddeutsche Zeitung

USA:Spiel der Staatsgewalten

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Die Republikaner wollen Präsident Obama den Einfluss auf das Oberste Gericht nehmen, gehen aber hohe Risiken ein.

Von Nicolas Richter, Washington

Der Tod eines Verfassungsrichters hat diesem amerikanischen Wahljahr gerade noch gefehlt. Der Wettbewerb um das Weiße Haus ist schon so intensiv wie selten mit seinen Außenseitern und Schimpftiraden. Nun ist auch noch Antonin Scalia gestorben, einer von neun Richtern am Obersten Gericht, der lauteste und vielleicht brillanteste Konservative in der Hauptstadt. Jetzt bahnt sich eine "epische Schlacht" um seine Nachfolge an, so schreiben es die örtlichen Medien mit ihrer Vorliebe für epische Schlachten. Im Wahljahr 2016 steht damit noch mehr auf dem Spiel als ohnehin: Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte wird die Macht in allen drei Staatsgewalten gleichzeitig neu verteilt.

Obwohl sie in allen politischen Fragen das letzte Wort haben, von Abtreibung bis Waffenbesitz, sehen sich die Richter am Supreme Court nicht als Politiker. Scalia fühlte sich dem politischen Theater in der Hauptstadt überlegen. Aber nun soll ausgerechnet diese Hauptstadt einen Nachfolger für ihn finden. Wie erwartet stellen beide Parteien bereits Maximalforderungen und setzen weniger auf Kompromiss als darauf, ihre Anhänger zu mobilisieren und den Gegner zu zermürben.

Der Kampf um die Nachfolge Scalias beginnt, so will es die US-Verfassung, mit dem Präsidenten. Es ist seine Aufgabe, die obersten Richter zu ernennen. Nur wenige seiner Entscheidungen wirken so lange nach: Die Richter sind auf Lebenszeit ernannt. Scalia, ein Kandidat Ronald Reagans, urteilte fast 30 Jahre lang. Für Barack Obama also bietet sich knapp ein Jahr vor dem Ende seiner Amtszeit die wohl letzte Gelegenheit, die höchste Rechtsprechung im Land zu prägen. Zwei Richterstellen hat er bereits besetzt, den Supreme Court weiblicher und bunter gemacht; er wählte zwei Frauen, unter ihnen eine Latina. Unmittelbar nach dem Tod Scalias unterbrach der Präsident ein Golf-Wochenende und teilte mit, dass er seine Verantwortung ernst nehme und für Scalia einen Ersatz vorschlagen werde.

Schon die Ausgangslage ist heikler als bei den vorigen Nominierungen: Die beiden eher linken Richterinnen Elena Kagan und Sonia Sotomayor folgten jeweils auf Richter, sie selbst als eher links galten. So gesehen blieben die Machtverhältnisse am Supreme Court unberührt. Bis zum Tod Scalias standen sich vier Rechte und vier Linke gegenüber, den Ausschlag gab oft der unberechenbare Anthony Kennedy. Sollte Obama aber nun den kämpferischen Konservativen Scalia durch einen Linken ersetzen, würde sich die Balance sofort zugunsten der Demokraten ändern.

Hier allerdings kommt die Gewaltenteilung ins Spiel, die in Washington so oft Stillstand verursacht: Der US-Senat, die zweite Parlamentskammer, muss den Kandidaten Obamas für das höchste Richteramt billigen. Im Senat aber sind die Republikaner in der Mehrheit, und deren Anführer Mitch McConnell hat angekündigt, dass er sich Zeit nehmen will, bis Obama weg ist. "Das Volk soll dabei mitreden, wer der nächste Richter ist", teilte er mit. Demnach soll Obama keine solch weitreichenden Entscheidungen mehr treffen; und die Präsidentschaftswahl im November soll ein Referendum darüber werden, wer den Nachfolger für Scalia bestimmt. Die Republikaner warten also gar nicht ab, wen Obama benennt, sie sprechen ihm gleich das Recht ab, überhaupt jemanden zu benennen.

Die Blockade folgt der republikanischen Logik der vergangenen sieben Jahre

Die US-Verfassung sieht zwar nicht vor, dass der Präsident dieses Recht verliert, und es gibt auch keine entsprechende ungeschriebene Regel. Aber die Blockade folgt immerhin der republikanischen Logik der vergangenen sieben Jahre: Was Obama vorschlägt, wird verhindert. Die aufgebrachte rechte Basis würde es ihren Parteichefs wohl nicht verzeihen, wenn sie einen Kandidaten Obamas für die Nachfolge Scalias auch nur anhören würden. Das kategorische Nein soll die Partei vor der Präsidentschaftswahl einschwören: Viele republikanische Kandidaten für das Weiße Haus tun so, als sei diese Wahl die letzte Chance, Amerika vor den Linken (und dem Untergang) zu retten. Durch die offene Richterstelle steht jetzt noch mehr auf dem Spiel, und diese Dringlichkeit soll die Republikaner im November in Scharen an die Urnen treiben. Wahlen gewinnt man in den USA nicht nur, indem man die Mitte erobert, sondern indem man seine eigenen Anhänger mobilisiert.

Die Republikaner spielen mit hohem Risiko. Wenn es in ihrem Sinne läuft, erobern sie das Weiße Haus, und der neue Präsident ernennt einen Konservativen, um Scalia zu ersetzen. Es kann aber auch anders ausgehen, zum Beispiel so: Die Demokraten empören sich bis zum Herbst über die Blockade im Senat. Sie überzeugen die Amerikaner davon, dass die Republikaner Quertreiber sind, ihre Macht missbrauchen und die Verfassung missachten, die sie sonst immer so eifrig verteidigen. Dann gewinnen die Demokraten die Präsidentschaftswahl und, bei der gleichzeitigen Parlamentswahl, so viele Senatssitze, dass sie die Mehrheit im Senat zurückerobern. Damit könnten sie dann einen Linken am Supreme Court durchsetzen.

Obama kann Einfluss nehmen auf dieses Ergebnis, aber er steht vor einem ähnlichen Dilemma wie die Republikaner. Schlägt er einen linken Richter vor, jubelt zwar seine Partei, aber die Republikaner werden ihn geschlossen ablehnen. Schlägt er einen Gemäßigten vor, könnte es sein, dass gemäßigte Republikaner einlenken und eine Abstimmung im Senat erzwingen, jene republikanischen Senatoren vor allem, die um ihre Wiederwahl fürchten. Das aber würde wiederum die demokratische Basis verärgern, die, siehe den Aufstieg von Bernie Sanders, gerade selbst zu mehr Ideologie und weniger Kompromissbereitschaft neigt.

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SZ vom 16.02.2016
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