Süddeutsche Zeitung

USA:Nur kein Risiko

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Soviel steht fest: Zur Wahl treten die Demokraten mit einem alten, weißen Mann an. Warum aber wurden all die Frauen, Schwarzen, Latinos und Jungen unter den Kandidaten in den Vorwahlen ausgesiebt? Die Antwort liegt schlicht in der Angst: Vor Donald Trump.

Von Hubert Wetzel

So viel steht fest: Bei der Präsidentenwahl in den USA im November wird ein weißer Mann über 70 gegen einen anderen weißen Mann über 70 antreten. Das bedeutet, dass der US-Präsident in den nächsten Jahren ein weißer Mann über 70 sein wird, ob er nun Donald Trump, Joe Biden oder - eher unwahrscheinlich - Bernie Sanders heißt. Willkommen in Amerika im Jahr 2020.

Natürlich ist dieser Zustand bizarr. Die USA sind ein ethnisch bunt gemischtes Land, und sie werden bunter. In 25 Jahren werden die Weißen laut Prognosen in der Minderheit sein. Davon profitiert die Demokratische Partei: Schwarze, Latinos und asiatischstämmige Amerikaner wählen zu 70, 80 oder gar 90 Prozent die Demokraten. Ähnliches gilt für Frauen, auch wenn der Abstand zu den Republikanern hier kleiner ist. Zudem werden die Demokraten de facto von Frauen angeführt: Nancy Pelosi und Alexandria Ocasio-Cortez sind, so sehr sie sich politisch unterscheiden, für die Partei wichtiger als der Vorsitzende Tom Perez.

Wie also sind die Demokraten in diese absurde Lage geraten? Wie konnte es passieren, dass alle Frauen, alle Schwarzen, alle Latinos und alle jüngeren Bewerber, die vor einem Jahr zum großen Stolz der Partei angetreten sind, in den Vorwahlen nach und nach ausgesiebt wurden?

Die Antwort steckt in eben diesem Wort: Vor wahlen. Es ist nicht die Schuld "der Partei", dass nur Biden und Sanders übrig geblieben sind. Es ist die Schuld der Wähler. Der Fall Elizabeth Warren ist in dieser Hinsicht exemplarisch: Die linksliberale Senatorin löste bei linksliberalen Kommentatoren Begeisterung aus. Wäre es nach dem ominösen "Establishment" gegangen, wäre Warren die Kandidatin. Aber die Wähler hat sie weniger beeindruckt. Und bei dieser Wahl zählt der Wille der Wähler in Iowa mehr als eine Wahlempfehlung durch die New York Times.

Sind die demokratischen Wähler deswegen Sexisten? Sind sie Rassisten, weil sie Cory Booker nicht als Kandidaten wollten? Oder gar sexistische Rassisten, weil sie nicht für Kamala Harris gestimmt haben? Hassen die Demokraten Homosexuelle und Junge, weil sie Pete Buttigieg und Beto O'Rourke nicht zum Präsidentschaftskandidaten gemacht haben?

Eher nicht. Wer sich die Zusammensetzung der demokratischen Kongressfraktionen ansieht, kann nicht ernsthaft sagen, dass die Partei ein grundsätzliches Problem mit Frauen oder Minderheiten hätte. Im Gegenteil: 2018 wurden so viele Demokratinnen ins Abgeordnetenhaus gewählt wie noch nie - egal, ob sie weiß, schwarz oder braun sind, ob sie Frauen, Männer oder beide lieben.

Das Problem bei dieser Präsidentenvorwahl ist ein anderes: Die Demokraten haben panische Angst davor, einen Kandidaten aufzustellen, der gegen Donald Trump verlieren könnte. Sie wollen jedes Risiko vermeiden. Und sie glauben, dass ein weißer Mann über 70 die am wenigsten riskante Auswahl ist.

Ob das stimmt? Wer weiß. Aber wer immer der Kandidat wird, er wird die demografische und politische Realität nicht ignorieren können. Daher eine Vorhersage: Der Präsidentschaftskandidat der Demokraten wird mit einer Frau als Vizekandidatin in den Wahlkampf ziehen - mit einer Schwarzen oder einer Latina. Und die demokratischen Wähler werden sie mehr lieben als den alten Mann an der Spitze.

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Quelle:
SZ vom 07.03.2020
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