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USA:"Die Wahl hat gezeigt: Da ist ein Konsens auseinandergegangen"

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Was macht man mit Menschen, die politisch verunsichert sind? Der Germanist Manuel Clemens, der an der US-Ostküste unterrichtet, über den richtigen Umgang mit Trump-Wählern.

Interview von Nicolas Freund

Manuel Clemens hat an der Yale University promoviert und unterrichtet an der Rutgers University in New Jersey. Seine Forschungsschwerpunkte sind der Bildungsroman, Populismus und Autoritäre Charaktere.

Herr Clemens, macht Ihnen die Wahl Trumps Angst?

Nein, aber ich bin beunruhigt. Man weiß ja nicht, was passieren wird. Auf Facebook, wo meine Freunde eher links sind, waren die Einschätzungen aber sehr negativ. Viele befürchten, dass wir in eine präfaschistische oder präautokratische Zeit eintreten. Momentan habe ich eher Angst vor seinen Nachahmern in der Zukunft.

Wie sehen Ihre Studenten das Ergebnis?

Ich habe mit ihnen nach der Wahl über Trump gesprochen und sie waren seltsamerweise sehr gelassen. Vielleicht lag aber gerade da auch das Problem. Denn die meisten Studenten sind Anhänger Bernie Sanders'. Die haben dann zähneknirschend für Clinton gestimmt und waren nicht enttäuscht darüber, dass sie verloren hat.

Ist es den Studenten egal, wenn sie von einem Populisten regiert werden?

Nein, aber sie nehmen ihn noch nicht ernst. Ich unterrichte gerade einen Kurs über "Autorität und Populismus" und die Hausarbeiten, die sie schreiben, gehen meist in die Richtung, dass man abwarten muss und Trump nicht alles umsetzen wird, was er angekündigt hat. Damit stellt sich ein ganz neues Problem, nämlich die Frage, ab wann man sich sicher sein kann, dass es gefährlich wird. Wir haben den Faschismus bisher ja stets nur aus historischer Perspektive erlebt, wo immer klar war, wann die präautokratische und präfaschistische Epoche begonnen hat. Jetzt merken wir plötzlich, dass es viele unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, wann so etwas los geht. Die Frage ist also, wie man mit dieser Unsicherheit und dem Nicht-Wissen umgeht.

Eine gängige Erklärung für den Erfolg des Populismus ist der Frust der Abgehängten. Dabei werden aber vor allem wirtschaftliche Faktoren berücksichtigt. Spielt aber nicht auch die Bildung eine große Rolle? Besonders in den USA, wo die Collegeausbildung elitärer ist als ein Studium in Deutschland.

Klar, der abgehängte weiße Mann ist das zentrale Thema. Die Trump-Wähler sind aber nicht nur diese Männer, sondern auch Leute, denen es eigentlich ganz gut geht. Es herrscht bei vielen der Eindruck, in Clintons Wahlkampf und in den acht Jahren unter Obama wäre es zu viel um die Rechte der Minderheiten gegangen. Schwule, Lesben, Transgender. Alles Gruppen, mit denen der Mainstream nichts anfangen kann. Dieser wütende weiße Mann fühlt sich bei Diskussionen um Transgender-Toiletten kulturell abgehängt und hat das Gefühl, nicht mehr sagen zu können, was er denkt. Das könnte man einen phänomenologischen Stau nennen.

Was meinen Sie damit?

Wenn man nicht selbst diskriminiert wird, nimmt man viele Dinge nicht wahr. Sie existieren praktisch nicht, wenn man sich nicht selbst unwohl oder bedroht fühlt. Dagegen werden die Bedrohungen, die man zu sehen meint, nicht thematisiert. Die Identitätspolitik sorgt für eine kulturelle Schieflage. Wenn ein weißer Mann Angst vor dem Islam oder Ausländern hat, egal ob begründet oder nicht, dann kann man diese Ängste in einem liberalen Kontext nicht artikulieren. Ein Homosexueller zum Beispiel kann seine Ängste aber anbringen, sie zum Ausgangspunkt seines Engagements machen und in der Regel werden diese Vorwürfe auch nicht überprüft. Ich glaube dieses Ungleichgewicht ist ein Problem. Die Wahl hat gezeigt: Da ist ein Konsens auseinandergegangen.

Wie zeigt sich das?

Ich habe nie erlebt, dass jemand überlegt hat, für oder gegen Trump zu sein. Die Diskussion ist immer schwarz-weiß. Du bist hier für Trump oder gegen Trump, du bist für die AfD oder gegen die AfD. Was macht man aber mit Menschen, die politisch verunsichert sind? Was mit denen, denen die Antworten ausgehen? Was mit Populisten, die nicht nur unrecht haben? Es passiert oft, dass Populisten logisch argumentieren, ihnen aber vorgeworfen wird, unlogisch zu sein, weil man ihnen keine Logik zugesteht. Oder sie artikulieren Widersprüche im liberalen Weltbild, die verleugnet werden, weil die Kritik aus der falschen Ecke kommt. Hinter den Feindbildern ihrer Wähler stehen auch Unsicherheiten, auf die man nicht pauschal mit dem Vorwurf des Rassismus antworten kann. Ignoriert man denjenigen, die sich außerhalb des Konsenses befinden, führt das teilweise sogar dazu, dass die liberalen Diskussionsteilnehmer gar nicht mehr argumentieren, sondern nur noch die Populisten.

Was könnten die Geisteswissenschaften machen? Immerhin haben sie Themen wie die Gendertheorie angestoßen ...

Das was sie schon immer getan haben, sie müssten es nur ausführlicher erklären. Viele Theorien aus dem kulturwissenschaftlichen Bereich setzen voraus, dass die Menschen tolerant sind, dass sie liberal sind und dass sie Differenz erfahren wollen.

Wie könnte das konkret aussehen?

Die Geisteswissenschaften haben das Problem, dass sie keine Antwort darauf haben, was sie mit Leuten machen sollen, die keine Differenzerfahrungen brauchen und die keine Autoritäten herausfordern wollen. Leute, denen es egal ist, ob die Gesellschaft tolerant und liberal ist oder nicht. Denen muss man mit einer großen Liebe zum Detail erklären, um was es eigentlich geht. Dafür muss man aber einen Bildungskonsens aufbrechen und sich mit Themen auseinandersetzen, die unter einer intellektuellen 5-Prozent-Hürde liegen, wie sie nach wie vor angesetzt wird.

Sie haben darüber einen Aufsatz geschrieben und sprechen von einem populistischen Turn, der nötig sei.

Dabei geht es nicht um Leute, die nicht mehr zuhören oder die gar nichts mehr auf Fakten geben. Die sind verloren. Den liberalen Geist kann man bei vielen aber dennoch schärfen, wenn man nicht alle Sorgen damit abtut zu sagen, ihre Argumente seien ja absurd und nicht diskussionswürdig. Es geht darum, eine Gesprächsgrundlage zu schaffen, die es jetzt nicht gibt. Die Tendenz geht gerade sogar ins Gegenteil, dahin, sich zurückzuziehen. Ich kann das bei mir selbst beobachten. Nach Trump ging es ja vielen so, dass sie nach zwei Tagen nicht mehr konnten, wegen diesen ganzen Fragen, die da aufkommen und auf die es keine Antwort gibt. Es verschiebt sich gerade die politische Tektonik und das muss aufgearbeitet werden. Liberale Menschen beziehen sich oft auf einen alten Konsens, wenn sie sich mit den neuen Gegnern streiten. Ihre Argumentation müsste verstärkt ihren Ausgang in der populistischen Verschiebung haben, um wieder schlagfertig zu werden.

Sie sind Literaturwissenschaftler. Kann die Literatur Antworten liefern?

Im Bildungsroman gibt es das typischen Narrativ vom Sohn aus gutem Hause, der aus den Verhältnissen ausbrechen möchte, um Künstler zu werden und nicht Kaufmann, wie man es von ihm erwartet. Der Entscheidungskonflikt zwischen dem Rationalitäts- und dem Glücksprinzip ist anerkannt und darf ausgelebt werden. Wenn man das aber umdreht, bräuchte man heute keinen Künstlerroman mehr, sondern einen politischen Bildungsroman, in dem ein anderes Problem verhandelt wird, nämlich das, zum liberalen Demokraten zu werden. Lösen kann die Literatur diesen Konflikt nicht, aber sie kann ihn wenigstens anerkennen und mit ihrer Kompetenz für das Fiktive in zahlreichen Facetten durchspielen. Wieso keinen Roman im Stile von Bolaño oder Knausgård über das Für und Wider von Trumps Mauer zu Mexiko? Populisten setzen auf einfache Bilder und Wiederholungen. Von den Fakten der Politik können diese oft nicht durchbrochen werden. Der Vorteil der Literatur ist es, dass sie die politische Imagination befeuern kann.

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Quelle:
SZ vom 13.12.2016
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