Süddeutsche Zeitung

US-Wahl 2020:Warum die Auszählung so lange dauert

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Für Verzögerungen sind oft die banalsten Gründe verantwortlich, etwa fehlende Tinte. Die Stimmen der Briefwähler werden zuletzt gezählt - auf sie setzten die Demokraten.

Von Matthias Kolb, München

In allen Sondersendungen zur US-Wahl sind die Landkarten mit den 50 Bundesstaaten zu sehen, die rot und blau eingefärbt werden. Blau ist die Farbe der Demokraten, und so leuchten vor allem die Ostküste sowie die Bundesstaaten an der Westküste: Kalifornien, Oregon und Washington. Das Rot der konservativen Republikaner dominiert vor allem in der Mitte, also im sogenannten flyover country. Dort ist US-Präsident Donald Trump weiter äußerst beliebt.

Dass es 2020 so lange gedauert hat, alle Ergebnisse festzustellen, liegt auch daran, dass in jedem der wahlentscheidenden Swing States die Gegensätze groß sind. Wie schon 2016 stehen vor allem Michigan (16 von 538 Wahlleuten), Wisconsin (10) und Pennsylvania (20) im Fokus der Aufmerksamkeit, und für jeden Bundesstaat gibt es ebenfalls aufschlussreiche Karten: In einem roten Meer liegen blaue Inseln. Diese Inseln sind die Großstädte und deren unmittelbare Umgebung.

In Wisconsin sind die Hochburgen der Demokraten die Universitätsstadt Madison sowie Milwaukee, in Michigan war vor allem Detroit mit seinen Vororten für die Anhänger des Demokraten Joe Biden von essenzieller Bedeutung. Pennsylvania wird seit Langem so umschrieben: Zwischen den Metropolen Pittsburgh im Westen und Philadelphia im Osten sind die Wählerinnen und Wähler so konservativ wie im tiefsten Süden. Die Demokraten dominieren sonst nur noch in Harrisburg.

Was 2020 so besonders machte, war die Tatsache, dass wegen der Corona-Pandemie viel mehr Stimmen vorab und per Brief abgegeben wurden. In einigen Bundesstaaten, die zu Beginn des Wahlabends ausgezählt wurden, durften diese frühzeitig vergebenen Stimmen bereits vor dem Wahltag ausgezählt werden. So hatte Biden anfangs einen klaren Vorsprung, der aber zusammenschrumpfte. In den drei Staaten der traditionellen Industrieregion des rust belt, die Trump 2016 den Demokraten entreißen konnte, ist es nun umgekehrt: Die Briefwahlstimmen durften erst am Wahltag oder gar nach Schließung der Wahllokale ausgezählt werden.

Allein in Wayne County, zu dem Detroit gehört, waren 900 Wahlhelfer im Einsatz

Es sind traditionell vor allem die Demokraten, die auf early votes setzen, und 2020 dürften es aus Sorge vor Corona noch mehr ihrer Anhänger gewesen sein, die früh wählten. Insofern war es zu erwarten, dass sich der Rückstand von Joe Biden auf Donald Trump im Laufe des Mittwochs verringern würde. Dies dürfte auch ein Grund sein, warum sich der Präsident um halb drei Uhr morgens in Washington unter Missachtung aller demokratischer Normen vorab zum Sieger erklärt und ein Ende der Auszählungen gefordert hat. In Wisconsin ging Biden um kurz vor vier Uhr morgens Ortszeit in Führung, nachdem immer mehr Ergebnisse aus Milwaukee bekannt wurden. Einige Stunden später konnte Biden Trump auch in Michigan überholen. Allein in Wayne County, in dem sich Detroit befindet, waren laut CNN in Schichten stets 900 Wahlhelfer im Einsatz.

Unter den Wählerinnen und Wählern in den Großstädten sind viele Afroamerikaner, deren Stimmen Biden für einen Sieg brauchte. Allein in Philadelphia, einer Stadt mit 1,5 Millionen Einwohnern, waren am Morgen nach dem Wahltag erst ein Fünftel der per Post eingegangenen Stimmen ausgezählt. Zu dieser Zeit teilte Pennsylvanias Gouverneur Tom Wolf auf Twitter mit, dass in seinem Bundesstaat noch mehr als eine Million Wahlzettel ausgewertet werden müssten.

In einem Wahllokal ging nichts mehr, weil eine Wasserleitung geplatzt war

Da es dafür keine einheitliche Regelung gibt, wurde in manchen Stimmbezirken Pennsylvanias erst am Mittwoch mit der Auszählung begonnen. Das endgültige Ergebnis könnte erst am Freitag bekannt gegeben werden, hieß es. Mitunter sind die Gründe für Verzögerungen banal: In Green Bay in Wisconsin ging einer Wahlmaschine die Tinte aus, Ersatz konnte erst nach zwei Stunden beschafft werden.

Diese Wahl führt der Welt also vor Augen, was sich in den USA seit vielen Jahren abzeichnet: Die Republikaner sind die Partei der eher ländlichen Gebiete und der weißen Wähler, während die Demokraten die Menschen in den Großstädten und Vororten umwerben. Das zeigt sich auch in anderen Bundesstaaten, für die bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch kein Sieger ausgerufen war. Dass Biden eine Chance hatte, im Südstaat Georgia zu siegen, lag daran, dass lange nicht alle Stimmen im Großraum Atlanta vorlagen. Dort leben sechs Millionen Menschen. In einem Wahllokal verzögerte sich die Auszählung um zwei Stunden, weil eine Wasserleitung geplatzt war. Knapp war es auch in North Carolina: 2016 war Trump hier früh zum Sieger ausgerufen worden.

Anders als Hillary Clinton konnte Joe Biden in Arizona gewinnen, weil er viel Unterstützung in Maricopa County erhielt: Rund um die Großstadt Phoenix leben etwa zwei Drittel aller Wähler des Staats. Um sich in Nevada durchzusetzen, musste Biden Las Vegas gewinnen. Die sechs Wahlleute von dort brauchte der frühere Vizepräsident, um ins Weiße Haus einziehen zu können.

Wann alle Ergebnisse vorliegen würden und ob sie so knapp ausfallen würden, dass die unterlegene Seite dies anfechten könnte, war am Mittwoch schwer abzusehen. In Wisconsin ist eine Nachzählung möglich, wenn der Vorsprung weniger als ein Prozent beträgt. Dies war 2016 der Fall, als Trump knapp 23 000 Stimmen mehr erhielt als Hillary Clinton - doch das Ergebnis änderte sich kaum.

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