Süddeutsche Zeitung

Unterbringung von Asylbewerbern:"Goldgräberstimmung" in der Provinz

Lesezeit: 6 Min.

Von Karin Janker

Jägerzaun, weiße Doppelhaushälfte, der Rasen im Vorgarten kurz gemäht. Aus der Haustür kommt ein junger Mann, er grüßt und verschwindet die Straße hinunter. "Der jüngste unserer Mieter", sagt Verena Stork, die gerade ihr Auto gegenüber geparkt hat. "Er stammt aus einem Ort an der syrisch-türkischen Grenze, drei Monate lang ist er gelaufen - er kam im Winter in kurzen Hosen in Deutschland an", erzählt sie. Die 34-jährige Juristin hat die Doppelhaushälfte in Kassel-Forstfeld Anfang des Jahres zusammen mit ihrem Mann gekauft und vermietet zwei Wohnungen darin an Flüchtlinge.

Zuvor habe sie mit sämtlichen Nachbarn gesprochen und deren Einverständnis eingeholt. Große Widerstände habe es nicht gegeben, sagt Stork. Nur die Nachbarn auf dem Grundstück nebenan, jenseits des Jägerzauns, die bauen jetzt ein Tor an ihre Einfahrt. Und warfen ihr Geschäftemacherei vor. Denn statt der ortsüblichen Kaltmiete von etwa 700 Euro erhält Stork für die 105 Quadratmeter von der Stadt Kassel eine Pauschale zwischen zehn und 16 Euro pro Flüchtling und Tag. Für die acht Syrer im Haus macht das zwischen 2400 und 3800 Euro im Monat.

"Wenn jemand diese Zahlen hört, bekommt man schnell Mietwucher vorgeworfen", sagt Mario Neumann vom Sozialamt in Kassel. Dabei müsse man bedenken, dass der Vermieter die Wohnung voll möbliert zur Verfügung stellen muss, inklusive Waschmaschine, Küche, Handtüchern und Geschirr. Außerdem geht der Vermieter in Vorleistung: Er bezahlt sämtliche Nebenkosten, egal wie hoch der Verbrauch ist.

Immer mehr Menschen kommen auf die Idee, mit der Unterbringung von Flüchtlingen Geld zu verdienen. Die 500 000 Neuankömmlinge, die die Bundesländer für dieses Jahr erwarten, brauchen schließlich ein Dach über dem Kopf. Bringen private Unterkünfte hier die Lösung - oder sind sie Teil einer Industrie, die Geschäfte auf Kosten des Staates und der Flüchtlinge macht? Oft ist schwer zu beantworten, wer es tatsächlich gut meint und wer nur auf die Pauschale spekuliert, ohne für eine menschenwürdige Unterbringung zu sorgen.

Wo längst keine Gäste mehr absteigen, werden Flüchtlinge untergebracht

Der getäfelte Saal, in dem vor Jahrzehnten der Kinderfasching stattfand, ist heute Gemeinschaftsraum. In den Gästezimmern, früher für 54 Euro inklusive Vollpension zu haben, leben nun Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan. Etwa 125 Menschen wohnen inzwischen in den 80 Zimmern des früheren Gasthof Rosenhof in Wörth. Die Kleinstadt an der Donau hat das ehemalige Hotel von Betreiber Cemal Akkaya vor zwei Jahren als Flüchtlingsunterkunft angeboten bekommen. Wie viel er mit dieser Nutzung verdient, will Akkaya nicht sagen. Unrentabel ist das Geschäftsmodell aber offenbar nicht: Akkaya betreibt inzwischen zwei weitere ehemalige Pensionen als Flüchtlingsunterkünfte.

Für die Unterbringung der Flüchtlinge in Wörth an der Donau kommt der Landkreis Regensburg auf. Dort heißt es, pro Tag und Person bezahle man zwischen 15 und 25 Euro an den Betreiber einer Unterkunft, je nachdem, ob der nur für die Unterbringung oder für die volle Verpflegung verantwortlich ist. In Ausnahmefällen können die Kommunen aber auch höhere Sätze zahlen, sagt Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Vor allem dann, wenn die Not groß ist und alle verfügbaren Turn- und Lagerhallen bereits mit Feldbetten vollgestellt sind.

Viele Kommunen sind auf die Angebote privater Unternehmer angewiesen, die ihnen ihre Pensionen als Unterkünfte anbieten. Wo schon längst keine Gäste mehr absteigen, werden nun Flüchtlinge untergebracht. Oft in wenig erschlossenen Regionen, weit weg von Deutschkursen, Arbeit und öffentlichen Verkehrsmitteln. Für die Hoteliers lohnt sich das Geschäft. Statt auf Touristen zu hoffen, laufen ihre Häuser nun unter konstanter Vollbelegung. Rathausmitarbeiter in der bayerischen Provinz sprechen von einer "Goldgräberstimmung", ständig bekämen sie von Privatleuten Häuser angeboten.

Flüchtlinge sollen leben wie andere Leute auch

Die sogenannte dezentrale Unterbringung in nicht-staatlichen Unterkünften ist eine wichtige Stütze in der deutschen Asylpolitik. Die staatlichen Unterkünfte sind nicht nur oft überfüllt, sondern auch wegen ihrer Größe umstritten. Pro Asyl fordert deshalb seit langem, den privaten Wohnungsmarkt für Flüchtlinge zu öffnen. Langfristig sei das günstiger als große Gemeinschaftsunterkünfte.

Auch in Brandenburg ist zu spüren, dass die Politik nun in aller Eile nachholen muss, was sie lange nicht wahrhaben wollte: Es gibt zu wenige Flüchtlingsunterkünfte, neue müssen gebaut werden. Ein Vertreter aus der Bau-Branche berichtet, wie begehrt diese Aufträge sind: Schnell und robust soll gebaut werden. "Wir verbauen Toiletten aus Edelstahl - eigentlich ähnlich wie bei einem Gefängnis", sagt er. Solche Aufträge sind lukrativ für die beteiligten Firmen, der Zuzug von Flüchtlingen wirkt hier wie ein Konjunkturprogramm.

Nicht nur Hoteliers und Baufirmen verdienen an Flüchtlingen, auf dem Markt etablieren sich auch große Unternehmen. Im niedersächsischen Gifhorn zum Beispiel wurde kürzlich in einem "beschleunigten" Verfahren ein Betreiber für eine Flüchtlingsunterkunft gesucht. Der Zuschlag ging an den Anbieter mit dem niedrigsten Preis: European Homecare. Das Essener Unternehmen betreibt inzwischen etwa 50 Unterkünfte und ist damit Marktführer. Sein Name ist verbunden mit den Schlagzeilen aus dem vergangenen Herbst, als Wachleute Flüchtlinge misshandelten - in einem Heim von European Homecare.

Die Geschäfte solcher Unternehmen laufen nicht selten auf Kosten der Flüchtlinge. Matthias Weinzierl vom Bayerischen Flüchtlingsrat sammelt seit Monaten Angebote und Hochglanz-Broschüren, die bei ihm eingehen. Hersteller von Metallbetten und -schränken preisen da ihre "Leckerbissen" an, ein Containerhersteller wirbt mit einem afrikanischen Mädchen, das in die Kamera lacht, im Hintergrund strahlend blauer Himmel und eine Reihe gelber Wohncontainer. "Befremdlich" findet Weinzierl es, wenn die Firmen ihre Produkte beim Flüchtlingsrat anpreisen. Schließlich setzt sich die Organisation dafür ein, dass Flüchtlinge so wohnen können wie andere Leute eben auch: in Wohnungen.

Auch der sächsische Heim-TÜV zeigt, dass die Großunterkünfte privater Betreiber auffällig oft Mängel aufweisen. Dort ist von Schimmel- und Schädlingsbefall die Rede. Trotzdem setzt Sachsen wie kaum ein anderes Bundesland bei der Unterbringung von Flüchtlingen auf gewinnorientierte Unternehmen.

Allerdings: Selbst wenn Kommunen einsehen, dass eine Unterbringung in Privatwohnungen sowohl für die Flüchtlinge als auch für die Akzeptanz der Bevölkerung am besten wäre, ihre Verhandlungsposition ist schlecht. Nicht selten müssen sie nehmen, was ihnen angeboten wird. Pro Asyl spricht von einer "unheiligen Allianz" zwischen Betreibern und Kommunen.

Gegenmodell zu den Großunterkünften

Einen anderen Weg versucht Freyung im Bayerischen Wald zu gehen: Die verschuldete Stadt hat für vier Millionen Euro eine alte Kurklinik gekauft, die 15 Jahre leer stand, und betreibt diese nun selbst als Unterkunft für die Erstaufnahme. Ausstattung, Renovierung und Unterbringung in der ehemaligen Kurklinik bezahlt die Regierung von Niederbayern. Gewinn wolle die Stadt Freyung damit nicht erwirtschaften, sagt Verwaltungsleiter Herbert Graf. "Uns geht es darum, die Nachbarn einzubinden, die Flüchtlinge ordentlich unterzubringen - und darum, dass wir nicht draufzahlen."

Seiner Erfahrung nach seien private Betreiber oft auf Gewinnmaximierung aus. "Die sparen, wo es geht", sagt Graf. Er dagegen ist stolz darauf, dass neben Sicherheitspersonal auch vier Hausmeister in der 400-Personen-Unterkunft beschäftigt sind und dass die Teppichböden regelmäßig gereinigt werden.

Im Haus von Verena Stork in Kassel entsteht ein Gegenmodell zu den Großunterkünften. Die früheren Eigentümer der Doppelhaushälfte wohnen weiterhin im Erdgeschoss und kommen gut mit den acht Syrern aus. Das ältere Paar pflegt den Garten, man leiht den jungen Männern Schraubenzieher, im Gegenzug laden die ihre Nachbarn zum Tee ein. Sechs Flüchtlinge leben auf den rund 65 Quadratmetern im ersten Stock, im Dachgeschoss zwei weitere. Die Männer sind zwischen 20 und 40 Jahren alt. Der junge Mann, der zu Fuß aus Syrien nach Deutschland kam, wartet noch auf die Anerkennung seines Asylstatus. Wenn ihm an den besonders grauen Tagen die Decke auf den Kopf fällt, geht er manchmal hinters Haus und tollt mit dem Hund der Mieter aus dem Erdgeschoss durch den Garten.

"Eine gewisse Betreuungsleistung ist inbegriffen"

Stork will die Schicksale ihrer Mieter nicht allzu nah an sich heranlassen. In den ersten Wochen waren sie und ihr Mann trotzdem jeden Tag in der Wohnung, haben ihnen beim Papierkram geholfen und eine Internetverbindung eingerichtet, damit sie mit ihren Angehörigen in Kontakt bleiben können. "Ich sehe das so, dass mit der Pauschale, die wir bekommen, auch eine gewisse Betreuungsleistung inbegriffen ist", sagt Stork. Ob die Betreiber großer Unterkünfte ihre Aufgabe auch so verstehen, dürfte fraglich sein.

Die Stadt Kassel hat inzwischen zwölf Häuser von Privatleuten angemietet und bekommt wöchentlich neue Angebote. "Oft sind es aber ungeeignete Häuser: mit maroder Bausubstanz oder mitten im Industriegebiet", berichtet Mario Neumann vom Sozialamt. Noch könne er Häuser ablehnen, die ungeeignet sind. "Aber wenn man nehmen muss, was man angeboten bekommt, hat man schlechte Karten." Die Anmietung von Privatwohnungen läuft allerdings auch in Kassel nebenbei, die meisten Flüchtlinge leben auch hier in großen Unterkünften. Sonst reiche der Platz nicht für alle, die ankommen. Im Mai soll eine weitere Gemeinschaftsunterkunft hinzukommen, sagt Neumann. Das ist dann die fünfte, mit Platz für 200 Menschen.

Vor der weißen Fassade der Doppelhaushälfte in Kassel-Forstfeld stehen drei Mülltonnen: Papier, Bio, Restmüll. Wie das mit der Mülltrennung in Deutschland funktioniert, hat Verena Stork ihren Mietern mit Hilfe eines befreundeten Syrers erklärt, der übersetzte. Auch wenn es Kleinigkeiten sind, man könnte sagen, hier findet Integration statt.

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