Süddeutsche Zeitung

Ungarn:Die Partei als Nationalmannschaft

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Der Rechtspopulist Viktor Orbán hat höher gesiegt, als er selbst erwartet hatte. Ungarns Opposition hingegen steht vor einem Scherbenhaufen.

Von Peter Münch, Budapest

Zuerst die Hymne, das muss so sein, denn auf Traditionen hält man hier viel: "Listen to your heart", scheppert es aus den Lautsprechern. Roxette, späte Achtzigerjahre, da trugen sie alle die Haare hinten noch länger. Es ist der Gründungssong der ungarischen Fidesz-Partei, deren Protagonisten damals allerdings nicht nur langhaariger, sondern auch noch liberaler waren. Doch auch wenn die Zeiten sich ändern und mit ihnen Aussehen und Ansichten, wird mit diesem Lied nun die Feier eröffnet. Erst als die letzten Töne verklungen sind, da tritt der Sieger der Herzen auf die Bühne: "Wir haben gewonnen", sagt Viktor Orbán, "Ungarn hat einen großen Sieg errungen."

Ungarn und die Fidesz, die Heimat und die Partei, das hat er längst zum Synonym gemacht in den drei Jahrzehnten, die er nun schon die Politik des Landes entscheidend mitbestimmt. Wie sehr dabei der politische Diskurs ins Populistische abgeglitten ist, auch das lässt sich hier und jetzt auf der Wahlfeier von Fidesz erspüren. Vor dem Budapester Einkaufs- und Kulturzentrum namens Bálna, zu Deutsch: der Wal, das wie ein gestrandeter Meeressäuger am Ufer der Donau liegt, herrscht eine Stimmung wie im Fußballstadion. "Ria-ria-Hungaria" lautet der Schlachtruf, mit dem die Fans sonst ihre ungarische Nationalelf nach vorn peitschen. Nun gilt er Viktor Orbán, dem Kapitän der Regierungsmannschaft, und weil der 54-Jährige ein wirklich großer Freund und Förderer des Fußballs ist, bereitete ihm dieser Empfang sichtlich Freude. "Es war gut, mit euch zu kämpfen", ruft er ins Rund.

Die Gegner des Regierungschefs hofften auf hohe Wahlbeteiligung. Sie hat ihnen nichts genützt

Es ist ein Sieg ganz nach Orbáns Geschmack: alle gegen einen, alle gegen ihn - und am Ende hat er es allen gezeigt. Der Wahrheit halber muss man noch anmerken, dass der Kampf seiner Fidesz-Truppe gegen die Kräfte der Opposition mit ungleichen Mitteln geführt worden ist: Die von der Regierung kontrollierten Medien haben Orbáns plumpe Propaganda breit unters Volk gestreut. Aber dass dabei am Ende ein solcher Triumph herausspringen würde, das haben wohl selbst die eingefleischtesten Anhänger kaum erwartet: Fast 50 Prozent der Stimmen hat die Fidesz-Partei erhalten, deutlich mehr noch als bei der Wahl im Jahr 2014. Mit der damit wohl gesicherten Zweidrittelmehrheit der Parlamentssitze lässt es sich nun prächtig durchregieren.

Das dämmert dann irgendwann auch der Opposition, die sich in Wahlkampf allzu gern der Hoffnung hingegeben hatte, dass nach acht Jahren ununterbrochener Orbán-Herrschaft die Ungarn in Wechselstimmung sein könnten. Der lange, zähe Wahlabend gibt zunächst noch einmal Gelegenheit, dieses Wunschdenken zu pflegen. Auf eine hohe Wahlbeteiligung hat man gesetzt, um die Fidesz-Partei zu schlagen. Und tatsächlich liegt sie mit rund 70 Prozent deutlich über den knapp 62 Prozent von 2014. So groß ist der Andrang, dass manche Wahllokale gar nicht wie vorgesehen um 19 Uhr schließen können. Im 11. Budapester Stadtbezirk etwa stehen da noch 2500 Wähler Schlange. Die Anwohner bringen Bier und Snacks, und vor dem Wahllokal gibt es noch vor Auszählung der Stimmen die erste Wahlparty. Doch als abgerechnet wird, da zeigt sich schnell, dass Orbán auch bei der Wählermobilisierung der Konkurrenz weit überlegen war.

Während also auf der Fidesz-Party die Herzens-Hymne erklingt, müssen sie in den Hauptquartieren der diversen Oppositionsparteien den Blues pflegen. Zur Kooperation gegen Orbán hatten sie sich wieder einmal nur in Ansätzen aufraffen können. Die ideologischen Gräben waren schlicht zu tief und obendrein ein paar Egos zu groß. Jobbik-Chef Gábor Vona, der seine vormals rechtsradikale Partei bei einem Zuwachs von rund 100 000 Stimmen mit knapp 20 Prozent auf den zweiten Platz geführt hat, kündigt noch in der Nacht seinen Rücktritt an. Gleiches tut auch Gyula Molnár, Vorsitzender der traditionsreichen Sozialisten (MSZP), nach einem enttäuschenden Ergebnis von gut zwölf Prozent. Ein deprimiertes Fazit zieht schließlich Gergely Karácsony, der als Spitzenkandidat eines von der MSZP angeführten Wahlbündnisses einige Aufbruchstimmung verbreitet hatte: "Wir müssen einen anderen Weg gehen."

Den Weg in Ungarns Zukunft aber wird auch für die nächsten vier Jahre Viktor Orbán bestimmen. "Eine große Schlacht liegt hinter uns", lässt er nach dem Sieg seine Anhänger wissen, "aber wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen." Zum Abschluss stimmt er selbst ein Lied an, den Kossuth-Marsch aus dem Revolutionsjahr 1848, als sich die Ungarn unter den Klängen dieses Rekrutierungslieds gegen die Habsburger erhoben: "Wir alle müssen kämpfen gehen", heißt es da, "lang lebe die ungarische Freiheit, lang lebe die Heimat."

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SZ vom 10.04.2018
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