Süddeutsche Zeitung

Ungarn:Antijüdische Gefühle

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Die Regierung in Budapest erwartet Besuch von Israels Premier Netanjahu - und lässt vorher schnell provokante Plakate entfernen, die sie selbst in Auftrag gegeben hatte.

Von Moritz Baumstieger, München

Ungarns Plakatkleber müssen sich auf ein paar Extraschichten am Wochenende einstellen: Im Idealfall bereits an diesem Samstag, allerspätestens aber bis Dienstag sollen sie ein Motiv aus dem öffentlichen Raum tilgen, das derzeit auf fast jeder Werbefläche im Land klebt. Dann wird in Benjamin Netanjahu der erste amtierende israelische Premierminister seit dem Ende des Kommunismus zum Besuch erwartet - und der soll nicht an dem Plakat vorbeifahren müssen, das sowohl seinem Gastgeber, als auch ihm so viel Ärger eingebracht hat.

Auf blauem Hintergrund ist in Ungarn tausendfach das Schwarz-Weiß-Foto eines Mannes zu sehen, der diabolisch grinst, als habe er eben einen perfiden Plan ausgeheckt. Neben dem Porträt, das die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán in Auftrag gegeben hat, stehen zwei Sätze. Zum einen "99 Prozent lehnen illegale Migration ab". Und drunter und größer: "Lassen wir nicht zu, dass es Soros ist, der am Ende lacht!"

George Soros, der auf den Plakaten abgebildete US-Milliardär, unterstützt weltweit Bürgerrechtsgruppen und unterhält politische Stiftungen. Und obwohl Orbán selbst einst ein Stipendium einer Soros-Stiftung das Studium in Oxford ermöglichte, hat er Soros zu seinem Intimfeind erhoben. Er wirft dem 86-Jährigen vor, für die Flüchtlingskrise verantwortlich zu sein und eine "Migranteninvasion" zu schüren, um Europa zu zerstören.

Grund für die Vorwürfe dürften nicht wirklich die wenigen Hunderttausend Euro sein, die Soros ungarischen Flüchtlingsinitiativen bereitstellt. Orbán stört vielmehr, dass Soros zivilgesellschaftliche Gruppen fördert, die sich der rechtsgerichteten Regierung in Ungarn entgegenstellen. Im Frühjahr versuchte die Regierung deshalb, die von Soros geförderte "Central European University" in Budapest zu schließen und peitschte ein gegen Nichtregierungsorganisationen gerichtetes Gesetz durchs Parlament, das die EU am Donnerstag veranlasste, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

Einige Poster wurden mit Beschimpfungen wie "Drecksjude" beschmiert

All dies bringt Orbán vor allem im Ausland viel Kritik ein, die mehr als 18 Millionen Euro teure Plakataktion fanden jedoch auch im Inland viele vollkommen deplatziert - denn der als György Schwartz in Budapest geborene Soros ist Jude: "Die Kampagne ist zwar nicht offen antisemitisch, aber sehr geeignet dafür, dass sie unkontrollierte antijüdische Gefühle weckt", schrieb Andras Heisler in einem offenen Brief an Orbán, der Präsident der Jüdischen Gemeinden in Ungarn. Tatsächlich scheint die Anspielung auf das antisemitische Klischee des weltverschwörerischen Strippenziehers zu wirken, einige Plakate wurden mit Davidsternen und Beschimpfungen wie "Drecksjude" beschmiert. "Die Kampagne erinnert an Europas dunkelste Stunden", befand schließlich ein Sprecher von George Soros. Dass man den Holocaust-Überlebenden so nicht zeigen sollte, meinte auch Israels Botschafter in Ungarn, Yossi Amrani. In einer scharfen Stellungnahme schrieb er, die Plakate schürten Hass und Angst - kurz später widersprach ihm jedoch sein eigenes Außenministerium, das derzeit von Premier Netanjahu geführt wird: Soros dürfe man ruhig kritisieren, hieß es in einer Stellungnahme des Ministeriums, denn der unterstütze auch Organisationen, die Israel das Recht auf Selbstverteidigung absprächen.

Dass Netanjahu Orbán zu Hilfe eilte, führte wiederum in Israel zu Empörung. Netanjahu toleriere Antisemitismus, wenn der seinen Zielen diene, warfen Opposition und Kommentatoren dem Premierminister vor. Kurz darauf beschloss Netanjahus politischer Verbündeter Orbán, das Problem einfach aus der Welt zu schaffen - und befahl, die Plakate nun abhängen zu lassen.

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Quelle:
SZ vom 15.07.2017
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