Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Regierungsumbildung in Kiew verzögert sich

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Der Verteidigungsminister bleibt vorerst im Amt, es gibt aber Kandidaten für Spitzen des Innenministeriums und des Geheimdienstes. Unterschiedliche Einschätzungen existieren in Kiew dazu, ob eine russische Offensive bevorsteht.

Von Florian Hassel, Belgrad

Eine Auswechslung des ukrainischen Verteidigungsministers Oleksij Resnikow steht offenbar doch noch nicht unmittelbar bevor. Diese Erwartung hatte der Vertraute von Präsident Wolodimir Selenskij, Dawyd Arachamija, geschürt. Der Chef der Präsidialfraktion "Diener des Volkes" verkündete im ukrainischen Parlament am Sonntag, es werde einen neuen Innenminister, einen neuen Geheimdienstchef und einen neuen Verteidigungsminister geben - und er nannte auch schon den angeblichen Nachfolger Resnikows: Kyrylo Budanow, den auch öffentlich bekannten, angesehenen Chef des Militärgeheimdienstes GUR.

Doch am Montag ruderte Arachamija zurück: "Personaländerungen in der Sphäre der Verteidigung finden in dieser Woche nicht statt." Im Klartext: Resnikow bleibt im Amt - zumindest vorerst. Der Verteidigungsminister, der den Posten seit November 2021 bekleidet, war inmitten der Abwehr des russischen Angriffskriegs zuletzt wegen eines Skandals um überteuerte Lebensmittelkäufe für die Armee in die Kritik geraten.

Der gewöhnlich gut informierten Internetzeitung Zerkalo Nedeli zufolge scheiterten Entlassung und Neuernennung an Generalssternen: Nur ein Zivilist darf Verteidigungsminister sein. Doch der Karrieresoldat und im Rang eines Generalmajors stehende Militärgeheimdienstchef Budanow wollte offenbar nicht formell aus der Armee ausscheiden und seinen Rang verlieren. Ob freilich der angeschlagene Verteidigungsminister sein Amt dauerhaft behält, ist fraglich. Resnikows wichtigste Aufgabe besteht seit Beginn des russischen Überfalls in Verhandlungen mit westlichen Verteidigungsministern über weitere westliche Waffen für die Ukraine.

Mit 39 Jahren an der Spitze des Geheimdienstes

Fest stehen indes offenbar der kommende neue Innenminister und der zukünftige Leiter des Geheimdienstes SBU. Der designierte Innenminister Ihor Klymenko ist ein 51 Jahre alter Karrierepolizist, der kürzlich verkündet hat, die in der Ukraine teils paramilitärisch auftretende Polizei baue gerade neue "Sturmbrigaden" aus Ukrainern auf, die "ihr Haus oder Verwandte im Krieg verloren haben". Sie sollen künftig helfen, russisch besetzte Gebiete zurückzuerobern. Der kommende Geheimdienstchef Wassyl Maljuk ist gerade 39 Jahre alt und hat sein Leben überwiegend beim Geheimdienst zugebracht. Als Abteilungsleiter kämpfte er angeblich auch gegen die beim SBU notorische Korruption.

Der noch amtierende Verteidigungsminister sorgte am Montag überdies für Aufsehen mit seiner Einschätzung, dass er keinen neuen Angriff Russlands von allen Seiten wie am 24. Februar 2022 erwarte. "Wir sehen kein solches Risiko", sagte er in einem am Montag veröffentlichten Interview der Ukrajinska Prawda. In Belarus etwa, von wo aus russische Truppen vergangenen Februar auf die Hauptstadt Kiew vorrückten, "beobachten wir nichts Ungewöhnliches". Russland habe dort lediglich bis zu 12 000 Soldaten stationiert - Militäranalysten zufolge viel zu wenig für einen erneuten Angriff. Auch das Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington hält einen Angriff aus Belarus für "außerordentlich unwahrscheinlich". Angesichts des baldigen Jahrestags des russischen Einmarschs in die Ukraine am 24. Februar hat Präsident Selenskij vor einer "symbolhaften Aktion" der Besatzer gewarnt.

Russische Truppenbewegungen

Der ukrainische Verteidigungsminister glaubt auch nicht an einen erneuten Angriff auf Kiew, jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Stattdessen sieht der Minister, der sich dabei auf Szenarien des Generalstabes bezieht, die Gefahr russischer Angriffe im Osten und Süden der Ukraine, mit geringerer Wahrscheinlichkeit auch im Norden. Die russische Armee und Milizen der Wagner-Gruppe versuchen, die seit Sommer 2022 umkämpfte Stadt Bachmut einzuschließen und andere Städte der Ostukraine zu erobern. Dem ukrainischen Militärgouverneur der Region Luhansk zufolge zieht Moskau im besetzten Teil dieser Region weitere Truppen und Material zusammen.

Auch der exilierte Bürgermeister der russisch besetzten Hafenstadt Mariupol meldete, Moskau habe dort für neue Offensiven 30 000 Soldaten zusammengezogen. Russische Soldaten hätten lokalen Einwohnern gesagt, ihnen seien Angriffe auf die Stadt Wuhledar südwestlich von Donezk und in Richtung der 750 000-Einwohner-Stadt Saporischschja befohlen worden.

Verteidigungsminister Resnikow gab sich indes entspannt, was die Chancen Russlands auf die Eroberung einer größeren Stadt angehe. Die Russen seien "seit fünf Monaten nicht in der Lage", die Kleinstadt Bachmut einzunehmen - dort lebten früher 40 000 Menschen, jetzt nur noch wenige Tausend. Das Institute for the Study of War unterstrich, Russlands Generalstabschef Waleri Gerassimow habe am 22. Dezember das von Präsident Wladimir Putin befohlene Kriegsziel bekräftigt, zumindest die Regionen Donezk und Luhansk vollständig zu erobern. Diesem Ziel dürften die aktuellen Vorbereitungen dienen.

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