Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Machtkampf gefährdet den Friedensprozess

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Von Cathrin Kahlweit, Wien

In den Ukraine-Konflikt kommt wieder etwas Bewegung, wenngleich von Entspannung trotz einer weitgehenden Einhaltung des Waffenstillstands keine Rede sein kann. Vielmehr schwelt in Kiew eine Regierungskrise, welche die aktuellen diplomatischen Bemühungen um die Umsetzung des Minsker Abkommens untergraben könnte.

An diesem Samstag werden sich, das gehört zu den guten Nachrichten, in Berlin die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine treffen, um ein Treffen der Staatschefs sowie der Bundeskanzlerin für Anfang Oktober im sogenannten Normandie-Format vorzubereiten. Angela Merkel hatte dazu mit ihren drei Kollegen auch schon am Mittwochabend telefoniert. Thema soll die Umsetzung der nächsten Schritte sein, wie sie im Februar in Minsk festgelegt worden waren - also Kommunalwahlen nach ukrainischem Recht sowie eine Dezentralisierung der Macht. Frankreichs Präsident François Hollande war schon vorgeprescht und hatte den Verzicht auf Sanktionen gegen Russland in Aussicht gestellt, wenn aus dem Donbass die "erfolgreiche Durchführung von Lokalwahlen und einer Dezentralisierungsreform" vermeldet werden könnten.

Nur: dass das gelingen kann, daran glauben derzeit nur notorische Optimisten. Nach wie vor lehnen die Rebellenführer in Donezk und Luhansk Wahlen unter Kiewer Kontrolle ab; sie planen stattdessen eigene Kommunalwahlen. Parallel dazu ringen in Kiew Präsident und Oberste Wahlbehörde darum, wo überhaupt gewählt werden darf im Oktober: Die Wahlbehörde würde gern aus Sicherheitsgründen zahlreiche Kommunen ausnehmen, die zwar unter ukrainischer Kontrolle sind, aber politisch und militärisch im Einzugsbereich prorussischer Waffen oder Terroristen liegen könnten. Präsident Petro Poroschenko beharrt aus politischen und aus Image-Gründen darauf, dass überall gewählt wird - außer direkt an der Frontlinie.

Poroschenkos Mann aus Georgien sägt am Stuhl des Premiers

Auch die Dezentralisierungsreform ist strittig. Sie war zwar in erster Lesung vom Parlament Ende August beschlossen worden, aber Massenproteste und drei Tote durch den Angriff mit einer Handgranate hatten die Debatte dramatisch überschattet. Nun streiten die Parteien in Kiew weiter: Ist eine Verfassungsänderung, die eine Entmachtung des Zentrums zugunsten der Regionen vorsieht, ein Geschenk an Moskau und damit Landesverrat? Und wenn eine solche Dezentralisierung in zweiter Lesung beschlossen werden sollte - wird es dann tatsächlich einen Sonderstatus für die besetzten Gebiete geben? Darüber gehen die Lesarten von Experten wie Abgeordneten nach wie vor so weit auseinander, dass die verfassungsändernde Mehrheit, die in der zweiten Runde nötig ist, in den Sternen steht.

Unterdessen werden sowohl aus Kiew wie aus Donezk Machtkämpfe gemeldet; Ausgang: ungewiss. Der ehemalige georgische Premier Michail Saakaschwili, der von Poroschenko im Frühjahr zum Gouverneur von Odessa ernannt worden ist, um in der Hafenstadt die proukrainische Stimmung zu festigen und die Korruption zu bekämpfen, greift derzeit öffentlich und massiv die Regierung unter Arsenij Jazenjuk an. Deren Arbeit sei ineffizient, sie werde weiterhin von Oligarchen kontrolliert, die auch den Premier finanzierten. Die Zeitung Djen erklärt das mit einem eskalierenden Streit zwischen Jazenjuk und Saakaschwili: Hier handele es sich um einen "Krieg zwischen Oligarchengruppen und ihren Vertretern in der Politik". Eine Petition, nach der Saakaschwili zum Premier ernannt werden soll, hat in diesen Tagen das notwendige Quorum erreicht.

Aber nicht nur der Poroschenko-Mann aus Georgien greift derzeit den Premier an. Auch die Koalitionsparteien - Samopomich unter ihrem Chef, dem Lemberger Bürgermeister, und Julia Timoschenkos Vaterlandspartei - drohen immer wieder mit einem Auszug aus der Regierungskoalition, weil diese nicht mehr die Interessen des Volks vertrete. Präsident Poroschenko fühlte sich bemüßigt, alle Parteien im Parlament dringend zur Einigkeit aufzurufen und an den eigentlichen Gegner zu erinnern: Russland könne die Kampfhandlungen "jederzeit wieder aufnehmen", zitiert ihn die Ukrainskaja Prawda.

In der "Autonomen Volksrepublik Donezk" der prorussischen Separatisten hat offenbar eine interne Intrige zur Absetzung des einflussreichen "Parlamentssprechers" und Vordenkers der separatistischen Bewegung, Andrej Purgin, geführt. Experten bewerten das wahlweise als Sieg der realistischeren Kräfte, die eine Einigung mit Kiew suchten, oder als Säuberungsmaßnahme Moskaus, das seinen Einfluss auf die Rebellenführung damit weiter ausbauen wolle.

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SZ vom 11.09.2015
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