Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Rätsel des Absturzes

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Der ukrainische Innenminister kommt bei einem Hubschrauberunglück ums Leben. Aber warum ist die Maschine abgestürzt? Es kursieren mehrere Versionen der Ereignisse.

Von Nicolas Freund

Die verdrehten und verbrannten Trümmer sind über mehrere Gebäude verteilt, die Reste des Rotors haben sich in ein Auto und einen Hauseingang gebohrt, ein Teil des Hubschraubers ist auf dem nahen Spielplatz eingeschlagen. Bei dem Absturz in der Nähe der ukrainischen Hauptstadt Kiew sind am Mittwochmorgen 14 Menschen ums Leben gekommen, darunter der ukrainische Innenminister Denys Monastyrskyj, dessen Stellvertreter und weitere Mitarbeiter des Innenministeriums. Zunächst war von 18 Getöteten die Rede. 30 Menschen wurden verletzt. Unter den Toten und Verletzten sind auch Kinder, da der Hubschrauber auf das Dach eines Gebäudes gestürzt war, in dem sich ein Kindergarten befindet.

Es ist unklar, warum der Rettungshubschrauber vom Typ Super Puma des französischen Herstellers Aérospatiale auf dem Weg zu einem Frontbesuch um kurz nach acht Uhr morgens in ein Wohngebiet der Stadt Browary stürzte. Es gibt derzeit keine Hinweise auf einen Abschuss. Laut dem Regionalgouverneur Oleksij Kuleba und der örtlichen Polizei wird die Ursache noch ermittelt. Zeugen des Unglücks wurden aufgerufen, sich bei den Behörden zu melden. "Jedes Detail sei wichtig", schrieb der ukrainische Regierungsberater Anton Heraschtschenko auf Telegram.

Derzeit kursieren mehrere Versionen der Ereignisse. Eine Augenzeugin berichtete, der Hubschrauber habe gebrannt und sei gekreist, bevor er abstürzte. Eine andere Frau sagte, sie habe "einen lauten Knall gehört, und dann gab es eine Explosion, der Helikopter und alles drum herum stand in Flammen". Videos und Fotos der Absturzstelle zeigten ein regelrechtes Flammenmeer und dichte Rauchwolken. Bäume und Teile des Gebäudes, in dem sich der Kindergarten befand, sind völlig verbrannt. Es gibt bisher keine offizielle Erklärung, wie und ob der Hubschrauber schon im Flug gebrannt haben könnte. Denkbar sind ein technischer Defekt ebenso wie Sabotage.

Im britischen Guardian wird der 14 Jahre alte Iwan zitiert, der den Absturz beobachtet haben will. Laut ihm habe der Pilot im Morgennebel wohl eines der umliegenden Hochhäuser übersehen. "Sie haben versucht, schnell hochzukommen, haben es aber nicht geschafft und sind dann steil heruntergefallen." Eine Kollision mit einem Gebäude müsste an diesem aber Spuren hinterlassen haben. Bisher gibt es dafür keine Bestätigung der ukrainischen Behörden.

Gebäude sind wegen der Angriffe auf das Stromnetz oft unbeleuchtet

Ein anderer Zeuge im Guardian bestätigt die Version des brennenden Hubschraubers: Sein sieben Jahre alter Sohn habe gesehen, wie der Helikopter erst brannte und dann abstürzte. Eine mögliche Kollision mit einem der umliegenden Hochhäuser ist allerdings kein unwahrscheinliches Szenario. Zum Schutz vor russischen Angriffen fliegen ukrainische Hubschrauber sehr tief, so sind sie von Radarsystemen nur sehr schwer zu erfassen. Dazu sind wegen der Stromengpässe viele Gebäude in der Ukraine derzeit nicht beleuchtet.

Es gibt allerdings auch Berichte, der Helikopter sei schon in der Luft in zwei Teile zerbrochen, von denen einer dann in dem Kindergarten und ein anderer in dem benachbarten Wohnhaus eingeschlagen sei. Die Bilder der Absturzstelle und die weit verstreuten Trümmer sprechen für diese Version der Ereignisse. Es ist aber völlig unklar, ob ein Brand oder die Kollision mit einem Gebäude ein solches Zerbrechen des Hubschraubers in der Luft verursacht haben könnte.

Der Absturz und der Tod des Innenministers sind ein schwerer Schlag für die ukrainische Regierung. Monastyrskyj war seit 2021 Minister und unter anderem für die Polizei sowie die Innere Sicherheit zuständig. Er ist das ranghöchste Regierungsmitglied, das seit Beginn des Krieges ums Leben gekommen ist. Der Polizeichef Ihor Klymenko soll vorläufig die Aufgaben des Innenministers übernehmen.

Unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie andere Politiker, Staats- und Regierungschefs hatten nach dem Absturz ihr Beileid bekundet. Olena Selenska, die Frau des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, schrieb auf Twitter: "Die größte Tragödie ist der Tod von Kindern."

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