Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Die heilige Uneinigkeit

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Von Florian Hassel, Warschau

In seinen besten Zeiten war Metropolit Pawlo, Oberhaupt des Kiewer Lavra-Klosters, einer der wichtigsten Geistlichen der Ukraine. Selbst Regierungschef und Präsident ließen ihre Büros erst durch Pawlo segnen, bevor sie ihre Amtsgeschäfte aufnahmen. Heute verdächtigt der ukrainische Geheimdienst SBU den Metropoliten, der in der Ukraine zur moskautreuen orthodoxen Kirche gehört, des Aufrufes zum religiösen Hass. Sein Amtssitz und seine Privatresidenz wurden durchsucht. Dutzende weitere Priester wurden in den vergangenen Tagen ebenfalls verhört.

Die lange undenkbare Konfrontation ist Teil eines politischen Ringens zwischen Kiew, Moskau und Istanbul. Ein Ringen, bei dem der Ukraine als Beute eine von Moskau unabhängige Kirche winkt. Das würde dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko helfen. Es ist ein Ringen, bei dem die russische orthodoxe Kirche massiv an Einfluss verlieren wird - was der Kreml kaum ohne Antwort lassen dürfte.

Jahrhundertelang unterstand die orthodoxe Kirche der Ukraine dem Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul - ab 1686 unterstand sie dem Moskauer Patriarchen. Mit dem Erwachen eines ukrainischen Nationalismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert wollten viele Ukrainer eine eigenständige orthodoxe Kirche. Doch das klappte nicht, erst recht nicht, nachdem die Ukraine Teil der Sowjetunion wurde.

Im Untergrund allerdings bestand eine 1919 gegründete eigenständige Kirche (UAOK). Nach Erlangen der Unabhängigkeit 1991 spalteten sich Teile der moskautreuen "Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats" (UOK-MP) ab - sie wurden zur "Ukrainischen Orthodoxen Kirche - Kiewer Patriarchat" (UOK-KP). Heute kontrolliert die moskautreue Kirche gut 12 000 Gemeinden, das Kiewer Patriarchat 5000 und die frühere Untergrundkirche UAOK knapp 1000.

Die reinen Zahlen trügen, denn die Zustimmung vieler Ukrainer zur moskautreuen Kirche bröckelt seit Jahren. Metropolit Pawlo fiel in der armen Ukraine mit luxuriöser Vorortvilla und schwerem Mercedes auf. Bei Russlands Krieg in der Ostukraine nahmen moskautreue Priester Menschenrechtlern zufolge an Folter und anderen Gräueln teil. Sie weigerten sich in der restlichen Ukraine wiederholt, in der Ostukraine gefallene Soldaten zu Grabe zu tragen. Nur noch knapp 13 Prozent der Ukrainer bekennen sich zur moskautreuen Kirche.

Gleichwohl ist fraglich, wann sich der religiöse Status quo geändert hätte, müsste Präsident Poroschenko nicht vor der im März 2019 anstehenden Präsidentschaftswahl seine katastrophalen Umfragewerte aufbessern. Als Reformer gescheitert, verkauft sich Poroschenko den Ukrainern nun als Armeekommandeur und oberster Patriot. Im April 2018 beantragte der Präsident mit den Oberhäuptern von UOK-KP und UAOK beim faktischen Oberhaupt der Orthodoxen, Patriarch Bartholomäus I. von Konstantinopel, den Ukrainern die Autokephalie, also die Eigenständigkeit ihrer Kirche, zu gewähren.

Mit ähnlichen Argumenten rechtfertigte der Kreml den Krieg in der Ostukraine

Am 11. Oktober bestätigte der Patriarch, er werde dies tun - vorausgesetzt, UOK-KP und UAOK vereinigten sich vorher. Dies wollen die ukrainischen Bischöfe am Samstag in Kiew beschließen und ihr neues Oberhaupt wählen. Verläuft es wie geplant, will Bartholomäus I. den Tomos, den Erlass kirchlicher Eigenständigkeit unter nomineller Oberhoheit des Patriarchen in Konstantinopel, am 6. Januar bei einem Gottesdienst zum orthodoxen Weihnachten in Istanbul überreichen.

Die moskautreue orthodoxe Kirche wird es in der Ukraine weiter geben, doch sie könnte schnell dramatisch schrumpfen. Seit 2014 sind bereits rund 70 orthodoxe Gemeinden mitsamt ihren Kirchen vom Moskauer zum Kiewer Patriarchat gewechselt. Dem Orthodoxie-Spezialisten Nicholas Denysenko zufolge gibt es "umfängliche Belege dafür", dass Kleriker und Bischöfe der moskautreuen Kirche nach der Erklärung der Selbständigkeit in Scharen überlaufen werden.

Für Moskau ist dies ein schwerer Schlag: Langfristig kann das Moskauer Patriarchat, das sich als "drittes Rom" versteht, nicht nur bis zu einem Drittel aller ihm unterstehenden Gemeinden verlieren, sondern auch den Anspruch der faktischen Führungsrolle in der über 300 Millionen Gläubige zählenden orthodoxen Kirche. Russlands Präsident Wladimir Putin verliert ein Hauptargument seiner Propaganda, der zufolge Ukrainer und Russen schon der gemeinsamen Kirche wegen ein Volk seien. Damit nicht genug: Auch Weißrusslands Eigenständigkeit wurde in Konstantinopel schon beantragt.

Putins Ex-Berater Andrej Illarionow glaubt, dass der Kremlchef versuchen wird, die Ukraine für den religiösen Abfall "zu bestrafen". Putins Sprecher drohte im Oktober, bei weiteren "illegalen Aktivitäten" werde Russland, "so, wie es die Interessen von Russen und Russischsprachigen verteidigt, auch die Interessen der Orthodoxen verteidigen". Mit der gleichen Wortwahl - der Verteidigung von Russischsprachigen - rechtfertigte Moskau den Krieg in der Ostukraine.

Weitere Konflikte sind programmiert

Analysten zufolge werden die russischen Geheimdienste ukrainische Extremisten für ihre Zwecke einspannen. Am 15. November explodierten zwei Molotow-Cocktails vor der Kiewer Sankt-Andreas-Kirche: Die ukrainische Regierung hatte die Kirche am 18. Oktober als Dank für die bevorstehende Kirchenunabhängigkeit Patriarch Bartholomäus von Konstantinopel zur Nutzung überlassen. Weitere Konflikte sind programmiert: etwa wenn die ukrainische Regierung bisher vom Moskauer Patriarchat kontrollierte Kirchen und Klöster der neuen, vereinigten Ukrainischen Orthodoxen Kirche übergeben sollte.

Das Moskauer Patriarchat beendete als Zeichen des Protestes im Oktober die Kommunion mit Konstantinopel. Doch ein hochrangiger Vertreter von Patriarch Bartholomäus I. drohte in der BBC, falls Russland die neue unabhängige Kirche der Ukrainer nicht anerkenne, könne der Patriarch auch den Moskauer Orthodoxen die Eigenständigkeit entziehen.

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Quelle:
SZ vom 15.12.2018
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