Süddeutsche Zeitung

Türkei:Sündenböcke

Ankara weiß nicht, ob es auf Europa zugehen soll oder nicht.

Von Christiane Schlötzer

In der Türkei wurde zuletzt über "dunkle Kräfte" spekuliert, die angeblich eine Wiederannäherung Ankaras an die EU verhindern wollten. Diese anonymen Strippenzieher seien verantwortlich für die jüngsten Festnahmen von Akademikern - nicht die Regierung. War ja auch absurd: Da reist Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach Deutschland und verspricht ein besseres Verhältnis zur EU, und dann geht es weiter wie bisher, als wäre immer noch Ausnahmezustand.

Nun hat Erdoğan klargemacht, dass er nicht nur die Festnahmen der Akademiker billigte, er hat diese gleich noch in die Nähe von Terroristen gerückt. Ein regierungsnahes Blatt assistiert und nennt den seit einem Jahr ohne Anklage inhaftierten Mäzen Osman Kavala eine "Marionette Europas". Dumm nur, dass gerade zwei EU-Kommissare zu Gast in Ankara waren, mit denen man über einen Neustart der Beziehungen reden wollte. Deren Kritik war denn auch erfreulich deutlich.

Die Regierung in Ankara muss sich entscheiden, was sie will: wieder auf Europa zugehen oder sich weiter isolieren. Erdoğan ist schon wieder im Wahlkampfmodus, und das Land geht durch eine schwere Wirtschaftskrise. Sobald Machtverlust drohte, kannte seine Partei bislang nur ein Rezept: die Suche nach Sündenböcken. So aber wird aus der Annäherung nichts.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4222239
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.11.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.