Süddeutsche Zeitung

Türkei:"Bizarre Vorwürfe"

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Dem Kulturmäzen Osman Kavala droht wegen Spionage und Unterstützung des Militärputschs 2016 lebenslange Haft. Seine Anwälte sprechen von einem Racheakt.

Von Tomas Avenarius und Christiane Schlötzer, Istanbul

Die türkische Justiz wirft dem seit drei Jahren in Untersuchungshaft sitzenden Kulturmäzen Osman Kavala Spionage und die Unterstützung des Militärputschs von 2016 vor. Bei der Eröffnung eines neuen Verfahrens gegen Kavala in Istanbul hieß es in der Anklageschrift, der Philanthrop habe gemeinsam mit dem in den USA ansässigen Akademiker Henri Barkey den gescheiterten Putsch mit vorbereitet. Als Beweise führt sie Telefondaten an, die zeigten, dass die beiden sich in Istanbul in derselben Mobilfunkzelle befunden hätten. Das lege nahe, dass sich die Männer auch getroffen hätten. Der Richter vertagte das Verfahren auf 5. Februar, Kavala bleibt weiter in Haft, Barkey ist außer Landes.

Kavalas Anwälte sprachen von konstruierten Vorwürfen und einem politisch motivierten Verfahren. Der neue Prozess sei "ein Racheakt" , weil der Kulturmäzen in einem ersten Verfahren Ende 2019 wegen des Vorwurfs der Organisation der Gezi-Park-Proteste von 2013 freigesprochen worden war.

Kavala wurde aus dem Gefängnis über Video zugeschaltet. In seiner Verteidigungsrede wies er die Vorwürfe als "bizarr" zurück. Seine dreijährige U-Haft sei "eine Form von Folter". Einer seiner Anwälte sagte, Teile der Anklage wiederholten Vorwürfe aus dem im Februar mit Freispruch bereits beendeten Prozess: "Das verstößt gegen türkisches Recht."

Der Kulturmäzen befindet sich seit November 2017 in U-Haft. Festgenommen worden war er wegen des Vorwurfs des Umsturzversuchs, zu dem er die Gezi-Proteste von 2013 mit organisiert habe. Später musste die Justiz den Vorwurf fallen lassen. Statt Kavala freizulassen, wurden neue Vorwürfe erhoben, diesmal der Spionage sowie der Unterstützung des Putschversuchs gemeinsam mit Barkey. Kavala droht lebenslange Haft.

Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ignoriert die Türkei

Bei den Gezi-Protesten hatte eine Bewegung der Zivilgesellschaft gegen die Zerstörung eines Parks im Zentrum Istanbuls protestiert. Die Proteste wurden zu einem Aufbegehren gegen die zunehmend autoritäre Herrschaft von Recep Tayyip Erdoğan, der damals noch Premier war und die Proteste niederschlagen ließ. Drei Jahre später, im Juli 2016, hatten Teile des Militärs einen Putsch versucht, der vereitelt wurde. Verantwortlich gemacht wird neben der Armee der islamische Prediger Fetullah Gülen, seine Organisation wird als Terrororganisation gebrandmarkt.

Der Fall Kavala findet international Beachtung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte 2019 entschieden, dass die Gründe für U-Haft nicht gegeben seien und Kavala politisch zum Schweigen gebracht werden solle. Obwohl EGMR-Urteile für die Türkei als Mitglied des Europarats bindend sind, blieb Kavala in Haft.

Von internationalen Menschenrechtsorganisationen kommt anhaltende Kritik, ebenso von Regierungen wie der deutschen. Kavala hat sich wegen der Dauer seiner U-Haft zudem an das türkische Verfassungsgericht gewendet. Das Gericht hatte die Entscheidung zu Beginn der Woche erneut vertagt.

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