Süddeutsche Zeitung

Türkei-Besuch:Warum Merkel bei Erdoğan nichts zu gewinnen hat

Lesezeit: 3 min

Von Mike Szymanski, Ankara

Für Kanzlerin Merkel beginnt der Türkei-Besuch wie eine Reise ins Ungewisse. Selbst am Donnerstagmorgen, vor ihrem Abflug, steht noch nicht genau fest, wen sie wann treffen wird. Aus ihrem Stab heißt es, es sei gut möglich, dass ihre Termine erst beim Anflug auf den Flughafen von Ankara festgezurrt würden.

Merkel ist nicht irgendein Gast für Erdoğan. Sie ist Kanzlerin des Landes, in dem drei Millionen Türken wohnen. Kein anderes europäisches Land ist so eng verwoben mit der Türkei wie Deutschland. Und Merkels Rolle in Europa? Sie ist die Politikerin.

All das ändert nichts daran, dass heute die türkische Seite mehr oder weniger über ihren Tag verfügt. Alle Termine müssen um das Treffen mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan in seinem Palast und mit Premier Binali Yıldırım herumgebaut werden. Eigentlich will Merkel auch noch Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu treffen. Am Abend werde sie ihn sehen, heißt es. Vielleicht. Ein großes Vielleicht. Es heißt auch, diese Reise von Merkel wäre nicht einfach.

Aber welche Reise von Merkel in die Türkei in den vergangenen Jahren war das schon? Wenn Merkel kommt, dann mittlerweile nur noch aus einer defensiven Position heraus. Als sie im Herbst 2015 Erdoğan traf, sah sie sich regelrecht zu dieser Reise gezwungen. Die Flüchtlingskrise hatte auch Deutschland auf die Probe gestellt. Merkel musste die Türkei als Partner für ein Flüchtlingsabkommen gewinnen. Damals empfing Erdoğan Merkel im Istanbuler Sternenpalast. Der Raum steckte voller Prunk. Wenn es ein Bild gibt, das aus der Zeit von Merkel und Erdoğan in Erinnerung bleiben wird, dann ist es wohl dieses, wie Merkel in dem goldenen, thronähnlichen Sessel zu versinken droht. Ihr Unwohlsein war ihr körperlich anzumerken. Sie übersah sogar, wie Erdoğan ihr die Hand reichte. Und dieses Mal?

Selbst bis ins Auswärtige Amt hinein fragen sich die Leute: Was bezweckt sie mit dieser Reise? Sie kann ja nicht wirklich etwas gewinnen.

Im Herbst wird in Deutschland gewählt. Bilder von Merkel aus dieser Türkei? Das ist mittlerweile nicht mehr so leicht zu erklären: Nach dem Putschversuch vom Sommer vergangenen Jahres hat Erdoğan damit begonnen, die Justiz Stück für Stück auszuhöhlen. Der Ruf nach der Rückkehr zur Todesstrafe begleitet Erdoğans Auftritte. 100 000 Beamte sind aus dem Staatsdienst entlassen worden. 40 000 Menschen warten in U-Haft auf ihren Prozess, weil die Regierung sie verdächtigt, den Putschversuch in irgendeiner Form unterstützt zu haben. Sie macht die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen für den versuchten Umsturz verantwortlich. Dessen Netzwerk soll den Staat unterwandert haben.

In Deutschland haben Dutzende türkische Soldaten von Nato-Stützpunkten Asyl beantragt, weil sie Angst vor Folter und unfairen Verfahren haben, wenn sie sich der Justiz in der Türkei stellen. Ankara verlangt, die Anträge abzulehnen. Längst hat der innertürkische Konflikt deutschen Boden erreicht. Von der Türkei bezahlte Imame sollen Glaubensbrüder bespitzelt und ihre Erkenntnisse Ankara gemeldet haben. Auch dies dürfte Thema an diesem Donnerstag in der türkischen Hauptstadt werden.

Im April will sich Erdoğan per Volksabstimmung zum Superpräsidenten küren lassen. Seine Pläne für den Wechsel zum Präsidialsystem, der mit einem weitreichenden Machtzuwachs für ihn verbunden wäre, stehen zur Abstimmung. Die prokurdische Oppositionspartei HDP - entschiedener Gegner von Erdoğans Vorhaben - ist jetzt schon handlungsunfähig. Ihr Spitzenpersonal sitzt in Haft, ebenfalls wegen des Terrorvorwurfs. Es geht um das ambivalente Verhältnis der HDP zur Terrororganisation PKK, das es der Regierung leicht macht, sie auszugrenzen und zu demontieren. Zu all dem dürfe Merkel nicht schweigen, rufen ihr die Politiker aus Deutschland hinterher.

Oppositionsführer Kılıçdaroğlu ist verbittert

Merkels Besuch fällt auch mitten in den Wahlkampf für das Präsidialsystem, das zum "Ende der Demokratie in der Türkei" führen könnte, wie die Opposition meint. Wieder einmal ist der Zeitpunkt für Merkels Reise denkbar ungünstig. Als sie 2015 Erdoğan wegen der Flüchtlingskrise besuchte, wurde kurz darauf ein neues Parlament gewählt. Erdoğans AKP gewann haushoch. Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu ist verbittert. Aus seiner Sicht betreibe Merkel nun abermals Wahlkampfhilfe für Erdoğan. Wie tief die Enttäuschung sitzt, lässt sich an seinem Kommentar ablesen, es sei nun auch schon "egal", von wem Erdoğan Unterstützung bekomme, ob von Trump, Putin oder eben von Kanzlerin Merkel.

Andererseits ist kaum zu erwarten, dass Erdoğan sich auch nur einen Millimeter auf Merkel zubewegt; Druck rauslässt, größere Zugeständnisse macht. Ihr auch nur irgendetwas liefert, was sie als Verhandlungserfolg hinterher präsentieren könnte. Im besten Fall steht am Ende des Treffens wohl, dass die Zusammenarbeit nicht noch schlechter wird und man im Gespräch bleibt. In Berlin argumentiert das Merkel-Lager: Vielleicht erkenne Erdoğan ja endlich, dass er in Europa nicht mehr viele Verbündete habe und Kanzlerin Merkel immerhin noch diejenige sei, die mit ihm spricht.

Die Türkei ist heute nicht mehr das Land, das Merkel in ihren frühen Jahren als Kanzlerin kennenlernte, bei ihrem ersten Besuch 2006 zum Beispiel. Die EU-Mitgliedschaft sah sie damals auch schon skeptisch, obwohl die Türkei unter Erdoğan als Ministerpräsident zu diesem Zeitpunkt noch klar Kurs in Richtung Europa genommen hatte. "Wir sind dabei, die Brücken zueinander, die fest verankert sind, noch breiter zu machen", sagte Merkel damals. Heute fragt man sich, was die Brücken überhaupt noch aushalten?

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