Süddeutsche Zeitung

Spannungen in Prag:Das tschechische Rätsel

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Präsident Miloš Zeman ist schwer krank, will aber nicht von seinem Amt lassen. Warum das die Regierungsbildung verzögern kann und Misstrauen schürt.

Von Viktoria Großmann, München

Der tschechische Premier Andrej Babiš ist abgewählt, doch Präsident Miloš Zeman ist noch immer im Amt. Aus Sicht der Kritiker der bisherigen Babiš-Regierung ist der politische Wechsel aber erst dann vollständig, wenn auch Zeman weg ist. Die Präsidentschaftswahl steht Anfang 2023 an. Zeman darf dann, nach zwei Amtszeiten, nicht erneut antreten. Nun wächst die Kritik an Zeman, der sehr schwer krank - aber entschlossen ist, an der Macht festzuhalten.

Seit Sonntag liegt der 77-Jährige in einem Prager Krankenhaus auf der Intensivstation. Und mit jedem Tag wachsen die Befürchtungen, dass sein Zustand den Übergang zu einer neuen Regierung deutlich verzögern kann. Zumal niemand so genau weiß, wie es ihm geht, ob er überhaupt ansprechbar ist. Vor einer Woche war in Tschechien ein neues Parlament gewählt worden. Die Partei von Premier Babiš wurde nicht mehr stärkste Kraft, die vereinte Opposition gewann eine deutliche Mehrheit. Zeman sprach sich vor der Wahl für Babiš aus, bezeichnete die Wahlbündnisse, in denen die Oppositionsparteien angetreten waren, als "Betrug".

Der Präsident muss die neue Regierung ernennen und zwar möglichst bald nach dem 8. November. Dann wird das neue Parlament erstmals zusammentreten und die bisherige Regierung reicht ihren Rücktritt ein - beim Präsidenten. Dieser muss dann auch die neue Regierung ernennen. Solange er das nicht tut, bleibt die alte vorerst bestehen.

Zunächst gab es Befürchtungen, dass der noch amtierende Premier Babiš die Lage für sich nutzen könnte. Im Falle einer Vertretung gehen Zemans Funktionen an verschiedene Amtsträger über, so erklärt es der ehemalige tschechische Botschafter Jiří Schneider am Telefon. Ein Teil der Macht fiele dann auch an den Premier und den Parlamentspräsidenten - auch er gehört der Partei des Premiers an.

Babiš trug selbst zur Verwirrung bei, weil er sich widersprüchlich äußerte. Er hatte Zeman noch am Sonntagvormittag auf dessen Wohnsitz in Schloss Lány besucht. Zunächst erklärte er, es habe sich um ein lang verabredetes Gespräch über den Ausgang der Parlamentswahl gehandelt, behauptete aber wenige Tage später, der Präsident habe ihm die Regierungsbildung anvertraut, "ich muss den Auftrag nur annehmen", sagte er. Am Freitagabend wiederum erklärte er im Radio, er sei nun doch bereit, in die Opposition zu gehen.

"Mit anständiger Politik hat das nichts mehr zu tun."

"Die ganze Situation ist sehr bizarr", schreibt der Politologe Lubomír Kopeček von der Masaryk-Universität in Brünn. Man könne sogar vermuten, dass die Präsidentenkanzlei "auch mit der Ehefrau des Präsidenten irgendein merkwürdiges Spiel spielt" und zwar mit dem Ziel, den Einfluss der Präsidentenkanzlei "und weiterer Leute aus dem Umfeld des Präsidenten" zu verlängern. "Mit anständiger Politik hat das nichts mehr zu tun", fasst das Jiří Schneider zusammen.

Ivana Zemanová hatte am Donnerstag im tschechischen Fernsehen gesagt, ihr Mann unterziehe sich einer Behandlung, die Zeit brauche. Insgesamt erweckte sie den Eindruck, der Präsident brauche nur etwas Ruhe und werde wieder ganz gesund. Dass Zeman gesundheitlich angeschlagen ist, ist seit Jahren offensichtlich, im Krankenhaus war er schon mehrmals. Er kann nicht ohne Hilfe gehen, nutzt meist einen Rollstuhl, manchmal wirkt er abwesend. Sein jahrelanger Alkoholmissbrauch ist ein offenes Geheimnis. Vermutet wird ein schwerer Leberschaden.

Das Misstrauen gegenüber den Aussagen Zemans oder seiner Vertrauten hat eine Vorgeschichte. Zeman umgibt sich mit Menschen, die selbst den tschechischen Geheimdienst BIS auf den Plan rufen. Der Leiter der Präsidentenkanzlei hat bis heute vom Amt für nationale Sicherheit keine Sicherheitsbestätigung erhalten, gegen ihn wurde und wird wegen Beeinflussung der Justiz sowie Vorteilsnahme ermittelt.

Zemans engster Berater wiederum arbeitete früher für den russischen Konzern Lukoil. Der BIS warnt seit Jahren vor Spionage aus Russland und China, und nicht wenige Kritiker Zemans sehen im Präsidenten selbst eines der größten Sicherheitsrisiken für das Land.

Die Forderungen, Zeman für nicht amtsfähig zu erklären, werden lauter. Vergleiche zu den Zeiten des Sozialismus werden gezogen, als man das Volk in Unwissenheit hielt. Nur bei Präsident Václav Havel habe man immer gewusst, wie es ihm geht. Der Politiker Zdeněk Hraba, Mitglied des Senats, sagte nun im Fernsehen, wenn bis zum 15. November nicht klar sei, ob der Präsident fähig sei, sein Amt auszuüben, dann müsse seine Vertretung geregelt werden. Es zeige sich in diesen Tagen, "dass Würde in einigen obersten Ebenen der Politik verdammt fehlt".

Die Wahlgewinner jedenfalls verhandeln bereits: Schon in der nächsten Woche wollen die fünf Parteien beginnen, ihren Koalitionsvertrag zu schreiben.

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