Süddeutsche Zeitung

Tschechien und Sudetendeutsche:Das schmerzhafte Erbe

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Erstmals widmet sich eine Dauerausstellung in Ustí nad Labem der Geschichte der Deutschen in Böhmen und Mähren. Das heikelste Kapitel ist die Vertreibung nach 1945, doch die dritte Nachkriegsgeneration schafft nun die Annäherung.

Von Viktoria Großmann, München

Unterzeichnet ist die Bewerbung um eine Stelle bei der "Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen" mit Dr. František Kafka, ordnungsgemäß auf Deutsch und Tschechisch hat der junge Juraabsolvent sie im Jahre 1908 eingereicht - und sogar seinen Vornamen angepasst.

Zu sehen sind die beiden Briefe des damals noch im Verborgenen schreibenden jungen Kafka bald in einer Ausstellung im tschechischen Ustí nad Labem, zu Deutsch Aussig an der Elbe, nahe Dresden. Die Ausstellung ist noch nicht fertig, aber Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war schon da und hat auch die beiden Briefe Kafkas gesehen. Kafka, der einer von ihnen ist, von "unseren Deutschen". So heißt die erste Dauerausstellung, die sich der deutschsprachigen Bevölkerung im Gebiet Böhmen und Mähren widmet.

Politisch ist schon der Titel. Von "unseren Deutschen" - "naši Němci" sprach Staatspräsident Tomáš Garrigue Masaryk in einer Rede im Dezember 1918, die erste tschechoslowakische Republik war da gerade zwei Monate alt. "Unsere Deutschen" - das war eine Umarmung, aber auch ein dringender und strenger Appell, sich einzufügen in die neue Republik und sich nicht länger über die slawische Bevölkerung zu erheben.

"Der Begriff Sudetendeutsche ist ein Konstrukt des 20. Jahrhunderts", erklärt Museumsdirektor Petr Koura. Bis heute wird der Begriff oft gleichgesetzt mit den Anhängern der Sudetendeutschen Partei, die den Anschluss an den NS-Staat wollte und damit die erste tschechoslowakische Republik zerschlug. Ein Begriff mit "stark negativem Beiklang", wie der Historiker Zdeněk Beneš schreibt. Die Ausstellung aber umfasst nicht nur das bis heute heikle politische Kapitel von NS-Zeit und Vertreibungen, sondern gemeinsame Geschichte seit dem 6. Jahrhundert.

Der Titel "Unsere Deutschen" ist ein Kompromiss und ein Angebot wie unter Masaryk - an beide Seiten. Ein Team aus tschechischen, deutschen und österreichischen Historikern arbeitet seit 2006 am Collegium Bohemicum an dieser Ausstellung. Den Begrifflichkeiten ist ein eigener Teil der Ausstellung gewidmet - darunter der Diskussion, ob es nun nach 1945 zu einer Vertreibung oder einem "Abschub" der Deutschen kam. Bis heute ein Streitpunkt.

Als einen "Schatz" bezeichnete Bundespräsident Steinmeier die deutsch-tschechischen Beziehungen, auch der tschechische Präsident Miloš Zeman nannte sie "so gut wie nie". Dass das nicht nur Phrasen sind, das zeigt auch die Existenz dieser Ausstellung. "Wir sind bei der Aufarbeitung der Geschichte auf einem guten Stand", sagt Petr Koura.

Freiwillige erforschen verlassene Orte, bemühen sich um die Erinnerung

Seit etwa 20 Jahren lässt sich beobachten, wie das Schweigen über das schwierige, scheinbar letzte gemeinsame Kapitel der deutsch-tschechischen Geschichte aufgebrochen wird. In der ČSSR wie auch der DDR durfte über die Vertreibungen nicht gesprochen werden. Um das Schweigen, das Unwissen, den Groll, wenn nicht gar Hass zu überwinden, brauchte es, wie Koura sagt, die Nachkriegsgenerationen.

Nachgeborene wie die Schriftstellerin Radka Denemarková, die in ihrem Roman "Ein herrlicher Flecken Erde" von 2006 in Erinnerung rief, dass der Hass auf die Deutschen auch die jüdischen Deutschen traf - die nach der Verfolgung durch die deutschen Nationalsozialisten noch die Vertreibung und Enteignung durch die Tschechen erleben mussten. Oder Autorin Kateřina Tučková, die in Brünn seit 2015 jeden Mai an den 70 Kilometer langen Marsch erinnert, auf den die Deutschen geschickt wurden, Kinder, Frauen, Alte - viele überlebten nicht.

Nachgeborene wie auch Frank-Walter Steinmeier, der nun als erster Bundespräsident in Prag jener Widerstandskämpfer gedachte, die 1942 das tödliche Attentat auf Reinhard Heydrich vorbereitet und ausgeführt hatten, auf den sogenannten Henker von Prag. Die Nationalsozialisten nahmen Rache für den Anschlag auf den stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren durch tausendfachen Mord - ein wesentlicher Anlass für die unnachgiebige Vergeltung an der deutschsprachigen Bevölkerung nach dem Krieg.

Von der Entvölkerung zeugen bis heute Ruinen, Reste von Siedlungen vor allem im Erzgebirge, wo heute einige tschechische Freiwillige Wissen über diese Orte sammeln, sich bemühen, Erinnerung zu wecken und wach zu halten. Auch sie tragen ihren Anteil zur Ausstellung oder Veranstaltungen im Museum in Ustí bei. Petr Koura stammt selbst aus dem tschechischen Erzgebirge, auch er ist ein Vertreter jener dritten Generation nach dem Krieg.

Im Oktober soll die Ausstellung eröffnen, nach der tschechischen Parlamentswahl. "Wir wollen uns nicht politisch vereinnahmen lassen", erklärt Koura. Es gebe antideutsche Stimmungen sowohl am äußersten rechten wie linken Rand des politischen Spektrums. Das wiederum ist in einigen ehemals deutschen Regionen, die als abgehängt gelten, besonders stark, die Region Ustí gehört dazu. Die Entvölkerung und Neubesiedlung dieser Gegenden werden bis heute zu den Gründen für die sozialen Probleme gezählt.

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