Süddeutsche Zeitung

Ministerpräsidenten:Wenn der "Heide-Mörder" und "Max Mustermann" abstimmen

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Von Cornelius Pollmer, Leipzig

Einerseits kann das brachiale Bonmot vom "Heide-Mörder" kaum jemand noch hören, andererseits bleibt es bemerkenswert, wenn ein parlamentarischer Vorgang so viel Aufmerksamkeit erfährt wie die gescheiterte Wiederwahl von Heide Simonis im Jahr 2005.

Nach zwölf Jahren im Amt als erste Frau überhaupt an der Spitze einer Landesregierung erhielt Simonis in vier Wahlgängen im Landtag in Schleswig-Holstein nicht die erforderliche Mehrheit. Ihre Nicht-Wahl gilt bis heute als Referenzgröße für spektakuläre politische Abstimmungsniederlagen. Das hat weniger mit ihrem damaligen Konkurrenten Peter Harry Carstensen (CDU) zu tun, und auch nicht so viel mit dem Versuch von Simonis, dem rot-grünen Bündnis durch Hinzunahme des Südschleswigschen Wählerverbandes zu einer Mehrheit zu verhelfen. Mehr hat es damit zu tun, dass der "Heide-Mörder" bis heute weder identifiziert noch gefasst ist, jene Person also, die dafür verantwortlich ist, dass Simonis nicht die benötigten 35 Stimmen erhielt, sondern nur 34.

Im Hessischen Landtag wählte sogar ein gewisser Max Mustermann mit

Es wird vermutlich weder Simonis rückwirkend beruhigen noch Bodo Ramelow vor seinem Versuch einer Wiederwahl, dass es auch in den Jahren nach dem Drama in Kiel immer wieder überraschend eng zuging in Landtagen.

  • Andrea Ypsilanti (SPD) versuchte 2008 erfolglos, mit Hilfe der Linken Ministerpräsidentin einer rot-grünen Minderheitsregierung in Hessen zu werden. Vier Abgeordnete der eigenen Fraktion verweigerten ihr einen Tag vor der Wahl die Unterstützung.
  • Volker Bouffier (CDU) wurde im Januar 2014 zum Ministerpräsidenten einer schwarz-grünen Koalition in Hessen gewählt - doch erst im zweiten Wahlgang und nachdem falsche Wahlzettel mit der Aufschrift "Max Mustermann" in die Abstimmung geraten waren.
  • Christine Lieberknecht (CDU) wurde 2009 zunächst nicht zur Ministerpräsidentin von Thüringen bestimmt. Im dritten Versuch, bei dem die einfache Mehrheit genügte, erhielt sie 55 Stimmen und ihr Gegenkandidat 27. Dieser Gegenkandidat war der Protestant Ramelow, und er erzählte später, er sei am Morgen der Wahl aus der Andacht gekommen und habe der Protestantin Lieberknecht gesagt, ein Protestant werde heute Ministerpräsident, "und so ist es dann ja auch gekommen".
  • Natürlich fallen die Wahlen besonders häufig dann knapp aus, wenn auch die Mehrheiten im Landtag knapp oder wie jetzt in Thüringen gleich gar nicht vorhanden sind. Ähnliches hatte auch schon Reinhard Höppner 1994 erlebt, als er erst im dritten Wahlgang zum SPD-Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt gewählt wurde und dort fortan eine von der PDS tolerierte Minderheitsregierung führte, das sogenannte "Magdeburger Modell".
  • Zuweilen wird es aber auch bei üppigen Mehrheiten knapp, das ließ sich gut im Gesicht von Reiner Haseloff ablesen, als dieser 2016 ebenfalls in Magdeburg zunächst nur 41 Stimmen erhielt, obwohl seine Koalition über 46 verfügte. "Ich bin enttäuscht und überrascht", sagte CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt über die verunglückte Wiederwahl - und es erscheint, als habe sich die schwarz-rot-grüne Koalition nach diesem ersten Unfall gleich zu ihrem Beginn nie wieder richtig erholt.

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SZ vom 05.02.2020
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