Süddeutsche Zeitung

Thüringen ohne Althaus:Der zweite Sturz des Dieter Althaus

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Der Fall Althaus zeigt exemplarisch den Politiker als Getriebenen: getrieben von sich selbst, seinem Ehrgeiz, seiner Machtsucht, seinem Geltungsdrang; und getrieben von seiner Partei, von der Parteiräson und dem Erfolgsdruck.

Heribert Prantl

Dem Sturz des Skifahrers Althaus folgt der Sturz des Ministerpräsidenten Althaus. Ursache für den ersten Sturz und den Tod der Hausfrau Beata Christandl war grobe Fahrlässigkeit von Althaus, Ursache für den zweiten ist die grobe Befremdlichkeit seines nachfolgenden Verhaltens.

Althaus hat den tödlichen Skiunfall auf absonderliche und geschmacklose Weise genutzt, um für sich Wahlkampf zu machen. Er hat versucht, mit dem Mitleid der Wähler zu schachern. Aber die Anteilnahme der Menschen an seinem Schicksal kehrte sich deswegen gegen ihn. Die Menschen waren irritiert von der seltsamen Teilnahmslosigkeit, mit der Althaus von seiner Schuld und seinem Opfer sprach. Der Absturz der CDU bei der Landtagswahl erklärt sich auch auf diese Weise.

Juristisch ist Dieter Althaus ein fahrlässiger Straftäter. Politisch ist er Opfer seiner selbst - Opfer eines falschen Ehrgeizes, Opfer einer Sucht, sich selbst in die Pflicht zu nehmen, Opfer der Überzeugung, selbst im kranken Zustand noch immer besser zu sein als die Konkurrenten. Hätte sich Althaus vorübergehend aus der Politik zurückgezogen, der Respekt auch der politischen Gegner wäre ihm sicher gewesen.

Womöglich hätte seine Partei, die CDU, dann sehr viel besser abgeschnitten. Womöglich könne sie jetzt in der Wunschkoalition Schwarz-Gelb regieren. Womöglich befördert der Rücktritt jetzt eine schwarz-rote Koalition, da Althaus für die SPD als ein Haupthindernis für eine solche Koalition betrachtet wurde.

Ein Rücktritt im Frühjahr wäre ein Akt der Demut gewesen, der Rücktritt am 3. September hat nun für Althaus etwas Demütigendes. Er war keine politische Figur mehr, er galt nur noch als Hindernis - auch in seiner Partei. Der gesamte Vorgang ist erbarmungswürdig für Althaus und erbärmlich für die thüringische CDU.

Solange man glauben konnte, mit Althaus zu gewinnen, solange er noch mächtig war oder mächtig zu sein schien, solange er als Garant für einen Wahlsieg galt, solange gab es kein Wort der Kritik an ihm, muckte niemand auf. Die meisten Parteifreunde zweifelten sehr wohl, ob der Althaus nach dem Unfall noch der Althaus vor dem Unfall war. Aber in einer Mischung aus Ängstlichkeit, Willensschwäche und fordernder Parteiräson wollte man das Trauma des Hoffnungsträgers nicht wahrhaben, solange man selbst vom Wahlsieg träumte. Das tut man erst jetzt, nachdem Althaus die Hoffnungen enttäuscht hat.

Der Absturz der thüringischen CDU bei der Landtagswahl ist also nicht nur die Schuld von Althaus, sondern auch die Schuld der Partei, die an seiner Kandidatur ungeachtet Koma, schwerer Krankheit und schwieriger Rekonvaleszenz festgehalten hat: Ein Hoffnungsträger darf nicht schwächeln, darf sich nicht zurückziehen, muss zur Verfügung stehen, solange er einen politischen Mehrwert zu versprechen scheint.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Spitzenpolitiker trotz schwerer Krankheit eisern an der Kandidatur festhält und von seiner Partei festgehalten wird. Als Oskar Lafontaine im Bundestagswahlkampf von 1990 Spitzenkandidat der SPD war, wurde er von einer geistesgestörten Frau in den Hals gestochen und lebensgefährlich verletzt. Er fiel mehrere Monate aus, hielt aber als Spitzenkandidat - auch auf Drängen der Partei - aus, obwohl sich die politischen Ereignisse, die dann zur Wiedervereinigung führten, in dieser Zeit schier überschlugen.

Als Lafontaine dann wieder leidlich auf den Beinen war, hatte sich die politische Welt so geändert, dass er sich nicht mehr darin zurechtfinden konnte. Er war krank - und in der politischen Defensive. Die SPD verlor die Wahl auf katastrophale Weise, wohl auch deswegen, weil sie geglaubt hatte, sie könne sich einen menschlichen Umgang mit ihrem Spitzenkandidaten nicht leisten. Lafontaine war Opfer eines Verbrechens, Althaus war selber ein Straftäter: Die Fälle ähneln sich trotzdem.

Der Fall Althaus zeigt exemplarisch den Politiker als Getriebenen - getrieben von sich selbst, von seinem Ehrgeiz, seiner Machtsucht, seinem Geltungsdrang; getrieben aber auch von seiner Partei, von der Parteiräson und dem Erfolgsdruck, der von ihr ausgeht. Der Fall Althaus enthüllt die Maßlosigkeit und die Unbarmherzigkeit, die in der Politik stecken. Der Fall Althaus gebietet Nachdenklichkeit darüber, was Politik mit Menschen und aus Menschen macht.

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