Süddeutsche Zeitung

Theo Waigel:Eine Schatzkiste 

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Der frühere Finanzminister stellt seine Autobiografie vor. Dabei appelliert er auch an die Euroskeptiker.

Von Joachim Käppner

Theo Waigel greift neben sich und zieht ein Bajonett aus der Tasche. Sein Vater hat es besessen, als Soldat im Ersten Weltkrieg, und musste es auf den Karabiner setzen, wenn es zum Nahkampf kam. Waigel fand es, auf einem Boden verborgen, als er den elterlichen Hof umbaute. Es ist eine lange, schreckliche Stichwaffe, und noch als Theo Waigel, der spätere Bundesfinanzminister und "Vater des Euro", am 22. April 1939 geboren wurde, galt es als normal, ja als wünschenswert, dass die jungen Männer mit Gewehr und Bajonett auf die jungen Männer der Nachbarstaaten losgehen. Einer dieser Soldaten, und keiner der überzeugten, war Theo Waigels Bruder Gustl, 1944 fiel er in Lothringen. In seinem letzten Brief hatte er geschrieben: "Man lebt doch eigentlich gern."

Die wuchtige Waffe wirkt wie aus einer anderen Welt, genau deshalb zeigt Theo Waigel sie, in einem Festsaal des Bayerischen Hofs in München: "damit wir uns erinnern, woher wir kommen" - aus einer Vergangenheit voller Hass und Kriege. Die Euroskeptiker verkennen, so Waigel, dass "die EU ein Friedensmodell ist, wie es es in Europa nie zuvor gab". Er stellt hier seine Erinnerungen vor ("Ehrlichkeit ist eine Währung", Econ), dabei schöpft er aus der wohlgefüllten Schatzkiste seiner Anekdoten. Und scherzt, weitere Bände seien in Planung: "Was mir noch so einfällt" und "Was ich vergaß".

Was ihm eingefallen ist, sind die Stationen eines Politikerlebens; vom Kreuther Trennungsbeschluss der CSU 1976 (Waigel lehnte den Bruch mit der CDU ab) über die Wiedervereinigung (er handelte den Abzug der Sowjetarmee aus Ostdeutschland mit aus) bis zur Einführung des Euro, der ohne sein Betreiben schwer vorstellbar ist. Er berichtet von CSU-Rivalitäten und bemerkt, auf Edmund Stoiber angesprochen, nur kühl, der könne sich das Buch ja kaufen. Waigel hält Stoiber für zumindest den Mitwisser einer Schmutzkampagne aus der Zeit, als Waigels erste Ehe zerbrach und er mit der Skiläuferin Irene Epple zusammenkam, mit der er noch heute verheiratet ist. Jetzt, als Elder Statesman, verkörpert der Mann mit den markanten Augenbrauen nicht nur Nachkriegsgeschichte, sondern auch einen mitfühlenden Konservatismus, der leider selbst bereits historisch anmutet. Waigel ist gläubiger Katholik, er verabscheut den Rechtspopulismus von heute und "was da an Rassismus, Zynismus und Gemeinheit läuft". Im Buch mahnt er die CSU, deren Ehrenvorsitzender er ist: "Die rechte Flanke zu besetzen ist der falsche Weg." Das gilt Horst Seehofer und dessen Kampf gegen die Kanzlerin und deren Flüchtlingspolitik; Waigel ergänzt in München: "Unsere Politik muss den Menschen Angst nehmen, nicht ihnen Angst machen."

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Quelle:
SZ vom 12.04.2019
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