Süddeutsche Zeitung

Terror in Brüssel:Mit dem Alltag gegen die Angst

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Nach den Anschlägen trotzen die Brüsseler dem Terror mit demonstrativer Gelassenheit - und einem Schuss Ironie.

Von Paul Munzinger, Brüssel

Am Tag danach wirkt Brüssel fast wie eine normale Stadt. Die Busse fahren wieder, auch die meisten U-Bahnen, die Straßen sind voller Leute, die Geschäfte haben geöffnet. Auf dem Grand-Place im Herzen Brüssels schießen die Touristen Selfies, kein einziger Polizist ist zu sehen. Vor vier Monaten war das ganz anders. Da marschierten Soldaten in schweren Stiefeln über das Kopfsteinpflaster, der Grand-Place war Hochsicherheitszone wie die gesamte Stadt. Brüssel hat sich damals, nach den Anschlägen von Paris, selbst Hausarrest verordnet, Theater, Kinos und Schulen geschlossen. Nun, da der Terror die Stadt getroffen hat, ist die Strategie umgekehrt: Normalität, so schnell wie möglich. In Brüssel herrscht am Mittwoch offensiv gelebter Alltag.

Dass aber eben doch nicht alles normal ist, nicht normal sein kann, zeigt sich da, wo Brüssel wie jede Stadt besonders empfindlich ist. Vor dem Gare de Bruxelles-Central, dem Bahnhof in der Innenstadt, warten die Menschen in einer langen Schlange. Das Gelände ist abgesperrt, das Militär bewacht die Eingänge. "Wir müssen jeden kontrollieren, Taschen, Rucksäcke", sagt ein Soldat in Tarnfarben und schusssicherer Weste. Den Mundschutz hat er sich bis unter die Augen gezogen, das Maschinengewehr baumelt an seiner rechten Schulter.

Zwischen den Stationen Schuman und Gare de Bruxelles-Central hält keine U-Bahn, hier liegt auch die Station Maelbeek im Europäischen Viertel von Brüssel, in der am Dienstag die zweite Bombe des Doppelanschlags explodierte, bei dem 31 Menschen starben. Unter der Erde laufen die Aufräumarbeiten, darüber ist die Rue de la Loi rund um die Metro-Station gesperrt. Wie lange noch, das weiß auch die Polizistin nicht, die die Absperrung sichert. Ab und zu hebt sie das Plastikband für Mitarbeiter der Europäischen Kommission, wenn die sich ausweisen können. An der Ecke hat jemand einen Strauß weiße Rosen an ein Gitter gelehnt. "Wir werden dich nicht vergessen", steht auf der Karte.

Dem Europäischen Viertel ist der Schock des Vortages am stärksten anzumerken. Kaum jemand ist unterwegs, fast alle Cafés, in denen sonst bei einem Espresso EU-Politik gemacht wird, sind geschlossen. Im Europäischen Parlament wurden alle Ausschüsse abgesagt. Die größte Menschenansammlung vor dem Gebäude ist eine Gruppe Soldaten. Auch Joachim Wilcke hätte zuhause bleiben können, seine Chefin hat die Entscheidung ihren Mitarbeitern überlassen. Wilcke ist trotzdem gekommen, so wie die Hälfte seiner Kollegen auch. Er hat Ostereier mitgebracht.

Die Firma, für die Wilcke arbeitet, berät Lobbyisten im EU-Parlament, das Gebäude ist gleich die Straße runter. Als sich am Dienstagmorgen die Nachricht von den Bomben im Flughafen herumsprach, haben sie die Mitarbeiter in der Firma regelrecht eingesperrt, erzählt Wilcke, der aus Deutschland stammt. Gearbeitet habe niemand. Wilcke hat panisch versucht, seine Freundin anzurufen, die gerade in der Metro saß, auf dem Weg Richtung Maelbeek. Es war nicht die Unglücksbahn, es war jene direkt danach. Wilcke hat sich dann am Abend hingesetzt und einen langen Beitrag auf Facebook gepostet. Ein Aufruf, zusammenzuhalten und nicht denen nachzugeben, die jetzt Grenzkontrollen und Abschottung fordern. Auch von denen gibt es im Europäischen Viertel einige. Er musste etwas schreiben, sagt Wilcke, sonst hätte er schreien müssen.

Noch am Mittwochmorgen hat Wilcke sein Foto bei Facebook geändert, es zeigt jetzt den Manneken Pis, in belgischen Farben. "Still pissing", steht daneben. Trotz, sagt Wilcke, sei etwas typisch Belgisches. So schlimm es auch ist, die Menschen nähmen sich nicht zu ernst. Und selbst auf den Schrecken der Anschläge antworteten sie nicht mit Humor, aber zumindest mit einem Schuss Ironie. Und auch wenn es heute, am Tag danach, absolut nicht normal zugehe im Europäischen Viertel: Brüssel, glaubt Wilcke, wird sich nicht beeindrucken lassen.

Wilcke fährt am Donnerstag in den Urlaub. Zuerst muss er in die U-Bahn stiegen, dann am Flughafen Charleroi einchecken. Er wird einen großen Rucksack auf dem Rücken tragen, viel zu kontrollieren für die Soldaten. Doch ein mulmiges Gefühl habe er nicht. Der Anschlag, mit dem alle gerechnet hatten, sei nun passiert. In den nächsten Wochen, werde es ruhig bleiben, glaubt er. Und wirklich mulmig sei ihm in Brüssel ohnehin nur im November gewesen - also während des Lockdowns nach den Anschlägen von Paris.

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