Süddeutsche Zeitung

Syrien:Krieg führen mit Paragrafen

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Assad bestraft mit seinem neuen Dekret jene Menschen, die Grund hatten, vor ihm zu fliehen. Er will nicht, dass sie zurückkehren. Die Folgen werden auch die Länder spüren, die sie aufgenommen haben.

Kommentar von Detlef Esslinger

Krieg kann man mit Fassbomben führen, und mit Paragrafen. Im Kampf gegen seine Bürger ist dem Verbrecher Baschar al-Assad ein neues Mittel eingefallen. Er hat ein Dekret unterschrieben, das sich harmlos liest, aber perfide ist. Die Folgen werden Millionen vor allem seiner geflohenen Landsleute zu spüren bekommen - sowie die Länder, die sie aufgenommen haben.

Das Dekret stammt vom 4. April, es wurde jetzt erst bekannt und regelt den Wiederaufbau. Die Regierung kann nun für zerstörte Gebiete Bebauungspläne erlassen, bisherige Grundbesitzer haben die Pflicht, innerhalb von 30 Tagen ihre Eigentumsrechte nachzuweisen. Können sie dies nicht, wird ihr Besitz entweder versteigert oder dem Staat übergeben. In Deutschland oder Schweden wäre ein solcher Nachweis kein Problem. Man würde einfach seinen Grundbuchauszug vorzeigen, und fände man ihn gerade nicht, besorgte man ihn sich beim Katasteramt.

Aber in einem Land, in dem mehr als die Hälfte der Bewohner geflüchtet ist, und insgesamt jeder vierte ins Ausland? In einem Land, in dem es nur mancherorts Kataster gab und viele davon in Flammen aufgegangen sind? In den Neunzigerjahren nahm Deutschland 350 000 Menschen aus dem zerfallenen Jugoslawien auf. Nach dem Krieg kehrten fast alle zurück, in ihre Häuser, auf ihre Grundstücke. Wohin jedoch hätten sie gekonnt, wäre den Regierungen in Bosnien oder Kroatien ein Dekret eingefallen wie jetzt dem Herrscher in Damaskus?

Es gibt Syrer, die wollen ohnehin nicht mehr zurück; es gibt Syrer, die wissen es noch nicht. Alle gemeinsam sind sie jedoch in Deutschland dem Asylgesetz unterworfen, demzufolge der Flüchtlingsstatus zu widerrufen ist, "wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen" - wenn zum Beispiel der Krieg, vor dem sie geflohen sind, vorüber ist. So war es ja auch stets gedacht, damals im Falle Ex-Jugoslawiens und vor drei Jahren im Falle Syriens: Menschen aufnehmen, aber nur so lange, wie man sie nicht guten Gewissens wieder heimschicken darf.

Ob man das mit vielen Syrern nun je wieder machen kann? Die deutsche Rechtsordnung im Allgemeinen und das Asylgesetz im Besonderen beruhen auf sittlichen Grundlagen, die jemand wie Assad für exotisch halten wird. Paragraf 73 in diesem Gesetz erspart einem Flüchtling die Rückkehr, wenn er sich "auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann".

Assad zielt mit seinem neuen Dekret auf eine Bestrafung der Menschen, die Grund hatten, vor ihm zu fliehen. Er will ganz offenkundig nicht, dass sie zurückkehren, und man braucht kaum Fantasie, um sich auszumalen, was er wohl mit Menschen anstellen würde, die er nicht mehr haben wollte, die aber dennoch kämen. Ein solches Schicksal vor Augen, werden auch nach einem Ende des Krieges Abertausende Syrer vor deutschen Verwaltungsgerichten darum kämpfen, hier bleiben zu dürfen - egal wie gut oder schlecht sie bis dahin integriert sein werden. Was hätten sie schon zu verlieren?

Deutsche Paragrafen können Menschen vor Assad retten; aber einen gesellschaftlichen Konflikt, der ohnehin schon tobt, den können sie nicht lösen. Dieser deutsche Konflikt wird anhalten, um das Mindeste zu prognostizieren. Aus Assads Sicht allenfalls ein Kollateraleffekt, wahrscheinlich sogar ein angenehmer. Er kostete ihn nicht mehr als eine Unterschrift.

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Quelle:
SZ vom 24.04.2018
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