Süddeutsche Zeitung

Nachbesetzung am Supreme Court:Die Demokraten schwören schon mal Rache

Lesezeit: 3 min

Trotz der anstehenden US-Wahl können die Republikaner über die Nachfolge von US-Richterin Ruth Bader Ginsburg entscheiden - und so auf Jahre hinaus Fakten schaffen. Die Demokraten sind empört und drohen mit weitreichenden Schritten.

Von Alan Cassidy, Washington

Es geht bereits um alles. Die Debatte über die Nachfolge der verstorbenen US-Richterin Ruth Bader Ginsburg läuft erst wenige Tage, aber schon jetzt ist klar geworden, dass daraus ein Kampf wird, bei dem nicht nur eine Personalie verhandelt wird - sondern die Gestalt des ganzen Supreme Courts, vielleicht auch des Senats. Auf dem Spiel stehe, schrieb ein Kommentator in der Zeitung USA Today, "das politische Heil der Republik".

Bei den Republikanern und den ihnen zugeneigten Medien herrscht seit diesem Wochenende Euphorie über die Aussicht, anstelle der progressiven Ikone Ginsburg schon bald eine konservative Richterin an den Obersten Gerichtshof schicken zu können - entweder noch vor oder gleich nach den Wahlen vom 3. November.

Bei den Demokraten überwiegt dagegen die Wut. Sie wissen: Die Republikaner haben es mit ihrer Mehrheit im Senat in der Hand, über Ginsburgs Nachfolge zu entscheiden, wenn sie die Zahl der Abweichler in ihren Reihen gering halten.

Die Partei von US-Präsident Donald Trump kann damit auf Jahre hinaus eine Mehrheit von sechs konservativen Verfassungsrichtern installieren - und sie kann es selbst dann noch tun, wenn der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden die Wahl gewinnt und die Demokraten gleichzeitig die Mehrheit im Senat erobern. Der neue Kongress tritt erst Anfang Januar zusammen, dazwischen bleibt ein Zeitfenster, das die Republikaner für sich nutzen könnten.

Kein Wunder also, dass der Frust bei der Opposition groß ist. Führende Vertreter der Demokraten drohten dem republikanischen Mehrheitsführer Mitch McConnell am Sonntag bereits mit Rache: Wenn die Republikaner über die Nachfolge Ginsburgs noch vor den Wahlen entschieden, die Demokraten aber die Kontrolle über den Senat erlangten, werde das Konsequenzen haben, sagte Chuck Schumer, der demokratische Fraktionschef im Senat: "Alles kommt auf den Tisch."

In demokratischen Kreisen kursiert bereits länger die Idee, den neunköpfigen Supreme Court um einige weitere Mitglieder aufzustocken. Indem man zwei oder vier zusätzliche progressive Richter ernenne, könne man die Balance des Gerichts nach links verschieben - so diese Theorie. Die US-Verfassung macht über die Zahl der Richter am Supreme Court keine Angabe. Seit 1869 zählte das höchste Gericht aber immer neun Mitglieder. Es gab nur einen ernsthaften Versuch, daran etwas zu ändern: Präsident Franklin D. Roosevelt scheiterte 1937 dabei, die Zahl der Richter auf 15 zu erhöhen.

Im Falle der Aufstockung der Richter droht ein Wettrüsten der Justiz

Kommt nun also der nächste Anlauf? So wünschen sich das linke Justizaktivisten, so wünschen sich das zunehmend auch Vertreter der Demokraten im Kongress. "Wenn er 2020 eine Abstimmung durchführt", twitterte der Abgeordnete Joe Kennedy über Mitch McConnell, "dann stocken wir das Gericht 2021 auf." "Packing the court" nennt sich dieses Vorhaben im Amerikanischen. Das Politikportal Axios nannte es die "Armageddon-Option".

Die meisten Demokraten schreckten bisher vor dieser Forderung zurück, aus nachvollziehbaren Gründen: Der Wegfall der Begrenzung würde wohl damit enden, dass die Republikaner beim nächsten Machtwechsel ihrerseits noch mehr Richter ernennen würden - ein Wettrüsten um die Justiz.

Damit so etwas überhaupt möglich wäre, müssten die Demokraten ohnehin zuerst die Regeln im Senat ändern und den sogenannten Filibuster abschaffen. Dieses Instrument macht für die Verabschiedung der meisten Gesetzesvorlagen eine faktische Mehrheit von 60 Stimmen nötig. Es gibt schon länger Stimmen, die seine Abschaffung fordern, weil es zur Blockade in Washington beitrage. Der frühere Präsident Barack Obama bezeichnete den Filibuster kürzlich als "Relikt" aus der Zeit, als im Senat noch Verfechter der Rassentrennung das Sagen hatten.

Wäre der Filibuster erst einmal weg, könnten sich die Demokraten im Senat auch gleich daran machen, die Hauptstadt Washington sowie das US-Außengebiet Puerto Rico zu eigenständigen Bundesstaaten zu erklären - und ihnen je zwei Sitze im Senat zuzugestehen, die vermutlich von Demokraten besetzt würden. Auch daran denken Vertreter der Opposition, wenn sie wie Chuck Schumer sagen, dass "alles auf dem Tisch" sei.

Und als wäre diese Drohkulisse noch nicht groß genug, deutete Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, in einem TV-Interview vom Sonntag an, dass sie auch die Möglichkeit eines neuen Impeachment-Verfahrens nicht ausschließe - entweder gegen Trump oder gegen seinen Justizminister William Barr. Das Repräsentantenhaus könnte damit eine Bestätigung von Trumps Richterkandidatin nicht verhindern, weil es dazu gar nichts zu sagen hat. Aber die Bestätigung ließe sich wohl verzögern.

Einiges spricht dafür, dass die meisten dieser Szenarien gar nie eintreten werden - dass sie bloß ein Mittel der Demokraten sind, um bei ihren Wählern die Empörung über eine neue konservative Mehrheit am Supreme Court zu schüren. Aber allein die Tatsache, dass sie nun breit diskutiert werden, zeigt, wie sehr der Tod Ginsburgs den Wahlkampf bereits überschattet und beide Lager motiviert. Über das Wochenende nahmen die Demokraten rund 100 Millionen Dollar an Spenden ein.

Das Geld wollen sie vor allem in die laufenden Wahlkämpfe von Kandidaten stecken, die gegen republikanische Senatoren antreten. Denn ohne Sitzgewinne im Senat sind auch die lautesten Drohungen der Demokraten nur eines: heiße Luft.

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