Süddeutsche Zeitung

Südkorea:Südkoreas Kinder unter Leistungsdruck

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Das Erziehungsministerium will Mädchen und Jungen früher einschulen. Dagegen rührt sich jetzt Widerstand.

Von Thomas Hahn, Tokio

Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol hat diese Woche frei. Aber richtig entspannen kann er nicht, denn nur knapp drei Monate nach seinem Amtsantritt versinkt Yoons konservative Regierung in Streit und Unzufriedenheit. Laut Präsidialamt ist Yoon nicht wie geplant aufs Land gefahren, sondern grübelt in Seoul mit Fachleuten darüber, wie er seine abgestürzten Umfragewerte auffangen könnte. Ansatzpunkte gibt es einige: die Führungskrise in seiner Partei PPP, den Streit des Innenministeriums mit der Polizei um eine geplante neue Polizeibehörde - oder den Plan, bis 2025 das Alter bei der Einschulung von sechs auf fünf zu senken.

Mit letzterem Vorhaben hat Yoon sich eine Debatte aufgehalst, die viele Eltern, Lehrkräfte und andere Fachleute weltweit schon lange mit Leidenschaft führen. Ob er sich dessen bewusst war, ist nicht ganz klar, denn es kam alles sehr plötzlich.

Im Wahlkampf hat Yoon nie davon gesprochen, dass er das Einschulungsalter senken will. Südkoreas Medien berichteten erst davon, nachdem Erziehungsministerin Park Soon-ae den Präsidenten am Freitag über ihre Hauspolitik aufgeklärt hatte. Nach dieser soll die Einschulung jüngerer Kinder Eltern entlasten und in Zeiten schwindender Geburtenraten gegen den Arbeitskräftemangel helfen. Yoon fand das gut. Er bat darum, den Plan "schnell" umzusetzen und "gleichzeitig das zwölfstufige Schulsystem von der Grund- bis zur Oberschule beizubehalten". So erzählte es danach ein Präsidentensprecher.

Eine Weltneuheit hat die Yoon-Regierung damit nicht in Arbeit. Andere Mitglieder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schulen längst mit fünf ein: Australien, Großbritannien, Irland, Neuseeland. In Deutschland beginnt die Schulpflicht zwar mit sechs. Aber in diversen Bundesländern ist der Stichtag später als der erste Schultag. Fünfjährige im Unterricht kommen hier deshalb auch ohne Ausnahmeantrag der Eltern vor. Ob die frühe Einschulung außer im begründeten Einzelfall viel bringt? Darüber kann man streiten. Diverse Studien haben gezeigt, dass sie der schulischen Leistung nicht zuträglich ist. Acht OECD-Mitglieder setzen sogar auf siebenjährige Erstklässler. Darunter Schweden, Finnland und die Schweiz.

Jedes Land ist eben anders. Südkorea hat ein leistungsbezogenes System, das Schülerinnen und Schüler einer ständigen Wettbewerbssituation aussetzt. Damit sollte man besser später als früher anfangen - das sagen jedenfalls viele Eltern und Lehrer im Land. Und zwar laut. Am Montag demonstrierten Interessengruppen in Seoul. Der Lehrerverband KFTA kritisierte, die Regierung scheine "nicht die Charakteristiken frühkindlicher Entwicklung in Betracht zu ziehen". Dem Nationalverband der privaten Kindergärten fehlte "eine vernünftige Forschung zur Sache".

Das Erziehungsministerium will im September eine Umfrage unter 20 000 Kindern und Elternteilen auf den Weg bringen. Vom Ergebnis hängt dann wohl ab, ob die Reform kommt. Vielleicht besinnt sich Yoon Suk-yeol aber in seinen freien Tagen auch noch. Denn: Ist das wirklich eine gute Idee, mit jüngeren Schülern die Folgen der Geburtenkrise zu bekämpfen? Bloß weil man Kinder früher einschult, kommen ja nicht mehr zur Welt.

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