Süddeutsche Zeitung

Studie der Stasi-Unterlagenbehörde:DDR soll Blut von Häftlingen verkauft haben

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Blut für den Klassenfeind: In DDR-Gefängnissen sind Häftlinge womöglich zum Aderlass gezwungen worden. Aufgekauft wurden die Konserven vom Bayerischen Roten Kreuz.

Von Jens Schneider, Berlin

Die DDR hat Mitte der achtziger Jahre offenbar Blutspenden von Häftlingen genommen, um sie für Devisen an den Westen zu verkaufen. Es gibt deutliche Hinweise, dass diese Blutspenden nicht freiwillig gegeben wurden. Das geht aus einer bisher noch unveröffentlichten Studie der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) hervor.

Die Studie des Historikers und Mitarbeiters der Behörde, Tobias Wunschik, beschreibt unter dem Titel "Knastware für den Klassenfeind", in welchem Ausmaß in Gefängnissen der DDR für den westdeutschen Markt produziert wurde. Im Rahmen seiner Forschung stieß der Historiker auf Unterlagen, die belegen, dass im Gefängnis in Gräfentonna in Thüringen Mitte der Achtziger Häftlinge auch durch Blutspenden zur Einnahme von Devisen beitragen sollten.

Außer in Gräfentonna sollten auch in der Haftanstalt Waldheim in Sachsen Gefangene zu Blutspenden herangezogen werden. Das Bayerische Rote Kreuz kaufte das Blut über einen Schweizer Zwischenhändler ein. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass in weiteren Gefängnissen zu solchen Zwecken Blut abgenommen wurde. Gegenüber dem ARD-Magazin Report Mainz sagte der damalige Vize-Chef des DDR-Bezirksinstituts für Blutspende- und Transfusionswesen Erfurt, Rudolf Uhlig, dass seine Mitarbeiter Gefangenen in Gräfentonna Blutspenden abgenommen hätten. "Wir haben dort Blutspendetermine durchgeführt, in unregelmäßigen Abständen", erklärte er den ARD-Journalisten. "Es hat sich dort sehr gelohnt, in die Anstalt zu fahren, weil jedes Mal hatten wir 60 bis 70 Blutspender, und das war ein recht guter Erfolg."

Krankenschwestern weigerten sich

Den Unterlagen zufolge wurde unter anderem 1984 in Gräfentonna Blutabgenommen. Aus Stasi-Berichten geht hervor, dass sich seinerzeit Schwestern vom Erfurter Bezirksinstitut weigerten, Häftlingen Blut abzunehmen, weil dies wohl unter Zwang geschehen würde. Die Schwestern klagten demnach: "Die sind doch sicher alle gezwungen worden".

Die Studie führt zudem zahlreiche Unternehmen auf, für die Häftlinge produzierten. Im vergangenen Jahr hatte Ikea eingeräumt, dass in der DDR politische Häftlinge und Strafgefangene unter Zwang für den Konzern fertigen mussten. Der Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, sagte dem Fernsehsender, es seien viel mehr Unternehmen involviert als bislang bekannt: "Das Forschungsprojekt hat gezeigt: Ikea war nur die Spitze des Eisbergs."

Dazu zählten dem Bericht zufolge auch Aldi oder Volkswagen. Demnach wurden schätzungsweise mindestens 200 Millionen Mark jährlich mit Waren umgesetzt, die allein auf Häftlingsarbeit beruhten. So habe Aldi über die VEB Esda Thalheim Strumpfhosen bezogen. Dazu seien auch weibliche Gefangene des Frauenzuchthauses Hoheneck eingesetzt worden. Die Unternehmen erklärten gegenüber "Report Mainz", den Einsatz von Häftlingen weder gebilligt noch davon gewusst zu haben.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2014
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