Süddeutsche Zeitung

Streit um Karnevalsauftritt:Thilo Sarrazin und die Mainzer Ranwanz-Garde

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Nach unten treten, oben ranwanzen: Thilo Sarrazin soll beim Fastnachtsverein "Ranzengarde" eine Rede halten. Die Einladung ist ein Statement, aber sicher kein humoristisches.

Detlef Esslinger

Über den Karneval kann man kaum streiten; im Rheinland finden sie so etwas nun mal lustig, also sollen sie. Auch dass er mit seinen Ursprüngen nur noch wenig gemein hat, muss man nicht bekritteln: Erstens passiert das anderen Traditionen auch, zweitens wäre ein solches Gemeckere im Fall des Karnevals falsch.

Er hat sich nämlich nicht bloß vom Ursprung entfernt. Er hat diesen ins Gegenteil verkehrt. Was im 19. Jahrhundert als witziger Protest gegen die Obrigkeit begann, ist längst ein Spektakel geworden, das stets die Gemeinsamkeit mit derselben sucht.

Das zeigt sich dieser Tage in Mainz, wo bei einem Fastnachtsverein namens "Ranzengarde" am Sonntag der bekannte Narr Thilo Sarrazin eine Rede halten soll.

Nachdem Grüne, Linke und ein paar Sozialinitiativen deshalb eine Demonstration vor dem Kurfürstlichen Schloss für notwendig halten, verteidigt die Garde ihren Gast: Sie sei einst als "Garant des freien Wortes gegen Obrigkeitsdenken" gegründet worden. Dieser Tradition sehe sie sich weiterhin verpflichtet.

Na ja. Jeder mag über Sarrazin und sein Buch denken, wie er will. Unstrittig aber dürfte sein, dass er es als Angehöriger der oberen Stände gegen die unteren geschrieben hat.

Die Einladung an ihn ist ein Statement, aber sicher kein humoristisches.

In Aachen wiederum verleihen sie in ein paar Wochen ihren Orden wider den tierischen Ernst. Nach Herrschaften wie dem Ministerpräsidenten Rüttgers und der Prinzessin Gloria ist nun der Freiherr zu Guttenberg an der Reihe.

Hier ehrt derselbe Verein, der 2010 den Straßenkarneval absagte, weil seinem Präsidenten die Lokalzeitung nicht genehm war. Nach unten treten, oben ranwanzen; auch das ist Karneval.

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Quelle:
SZ vom 29.12.2010
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