Süddeutsche Zeitung

Steuerhinterziehung:Wie Malta zum Tummelplatz für Kriminelle wurde

Lesezeit: 4 min

Von Oliver Meiler, Rom

Es gibt sie, die Schatzinsel. Sie ist klein, drei ockerfarbene Flecken im dunklen Azur des Mittelmeers, nur 316 Quadratkilometer groß, 450 000 Bewohner. Früher fuhr man nach Malta zum Sprachaufenthalt. In der ehemaligen britischen Kolonie lernte man Englisch bei entschieden besserem Wetter als in Bornemouth. Oder man machte billig Urlaub. Die Küsten sind zwar nicht so schön wie auf anderen Inseln, nicht sandig, sondern steinig. Dafür gab es auf Malta immer einen schönen Mix der Welten, kulturell und kulinarisch. Exotik ohne Bedenken, mit dem Charme der Verschlafenheit.

Eine Autobombe hat dieses Image zertrümmert. Die Bombe von Bidnija, einem Ort im Norden der Hauptinsel, tötete am Montag Maltas berühmteste Bloggerin, die investigative Journalistin Daphne Caruana Galizia. Las man ihre Geschichten über Korruption und Drogenhandel, über Prostitution und Ölschmuggel, entstand ein Bild, das scharf kontrastierte mit der Vorstellung, die man sich bis dahin von der friedvollen Insel gemacht hatte. Das Bild einer Schatzinsel. Eines Tummelplatzes für italienische Mafiosi, libysche Milizionäre, Manager aus halb Europa auf der Suche nach dem tiefsten Steuersatz für ihre hohen Einkommen, für Multimillionäre aus Russland, vom Golf und aus China, die sich den maltesischen Pass kauften, um vom günstigen Klima zu profitieren. Und damit ist nicht das Wetter gemeint.

Vielleicht ist nun der Zeitpunkt gekommen, an dem man sich auch in Brüssel Fragen stellt. Denn Malta gehört zur Europäischen Union, seit 2004. Wer dort für 650 000 Euro einen Pass kauft, wird Europäer. Im vergangenen Jahr waren es 900 Leute. Offenbar kam es vor, dass Politiker beim Verkauf der Papiere mitverdienten. Auch darüber schrieb Daphne Caruana Galizia in ihrem Blog "Running Commentary". Er war ein trüber Spiegel der Schatzinsel. Malta ist das kleinste Land der Union, wahrscheinlich ging es auch deshalb unter dem Radar durch. Die Bombe von Bidnija könnte das ändern. Es war die sechste Autobombe in zwei Jahren. Montiert und gezündet im Stil der Mafia. Bisher hatte es immer Drogen- und Ölhändler getroffen. Man sprach von Abrechnungsmorden. Aufgeklärt wurde keiner. Auch in diesem Milieu, in dem libysche Schmuggler mit maltesischen Mittelsmännern und kalabrischen Bossen zusammenarbeiten, hatte Daphne Caruana Galizia recherchiert. Die Bloggerin fand auch in der Drogenszene Spuren in die Politik, eine führte zum Chef der Opposition. Es war einer ihrer letzten Fälle.

Maltas Verwandlung zum "Panama im Mittelmeer"

Die Verwandlung Maltas zur verheißenen Insel, zum "Panama im Mittelmeer", passierte in wenigen Jahren. Wann genau sie begann, ist schwer zu sagen. Klar ist aber, dass sie unter der Regierung von Premier Joseph Muscat von der Labour Party einen plötzlichen Schub erhielt. Muscat, 43 Jahre, früher selbst Journalist, ist seit viereinhalb Jahren an der Macht. In dieser Zeit ist Malta jedes Jahr wirtschaftlich etwa doppelt so stark gewachsen wie der europäische Durchschnitt. Der Staat macht keine Schulden mehr, die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Viele Malteser profitieren von dem Boom. Der Erfolg aber fußt auf einer fragwürdigen Fiskalpolitik. Malta lockt Privatleute und Firmen mit europaweit unschlagbar niedrigen Steuern an. Will man etwas verstecken, fährt man nicht mehr in die Schweiz, nach Liechtenstein oder Luxemburg. Das Paradies heißt Malta. Muscat sagt: "Wir sind kein Offshore-Staat." Bisher steht das Land auf keiner schwarzen Liste. Die Frage ist nur: warum nicht?

Das römische Nachrichtenmagazin L' Espresso hat in vertraulichen Akten, den sogenannten Malta Files, die Namen vieler italienischer Unternehmer, Ex-Fußballer und Politiker gefunden, die in Malta keine oder fast keine Steuern bezahlen. Ist nicht weit weg, nur hundert Kilometer von Sizilien entfernt, und so viel billiger. 15 Prozent bezahlen Großverdiener, höchstens. Wer sich eine Yacht kauft und sie in Malta anmeldet, zahlt fünf Prozent Mehrwertsteuer. Das sind 17 Prozent weniger als in Italien. Der Finanzsektor wuchs imposant. Und da die vermögende Klientel auch hübsch leben will, wenn sie mal vorbeischaut, wurden Luxuswohnungen gebaut, neue Nachtklubs und Hotels.

Zu ausländischen Unternehmen ist Malta dermaßen nett, dass sich jedes Jahr 5000 neue auf der Insel niederlassen. Für einen Sitz braucht es nicht viel: ein Büro, eine lokale Sekretärin, vielleicht noch einen Buchhalter. Für die Form. Die Anmeldung geht ganz schnell, einige Tage reichen. Und die Bilanzen will niemand sehen. Mittlerweile gibt es mehr als 70 000 registrierte Firmen und 580 Investmentfonds, die von Malta aus operieren. Oder wenigstens so tun, als ob. 8000 davon sind italienisch, darunter viele dubiose. Große Wett- und Spielbüros haben dort ihren Sitz: Bet 365, Betson, Microgaming. Auch bei den Malta Files arbeitete die Bloggerin mit.

87 Prozent der Malteser halten ihre politische Klasse für korrupt

Besonders intensiv beschäftigte sich Caruana Galizia aber mit den Mächtigen von Malta, die sich im Boom sonnten und vielleicht dem Reiz des großen Geldes verfielen. Dem jungen Premier, dessen Ehefrau und engsten Vertrauten warf sie vor, sie hätten sich bestechen lassen und das Geld auf Konten in Panama geschafft - ins andere Paradies, dem Original. Auf das Konto der Firma Egrant Inc., die auf den Namen der Gattin des Regierungschefs eingetragen worden sein soll, auf Michelle Muscat also, habe die Tochter des aserbaidschanischen Herrschers eine Million Euro einbezahlt. Angeblich aus Gefälligkeit für einen Energiedeal. Behauptete Galizia. Sie traf damit die Meinung der meisten Malteser, die ihre politische Klasse mehrheitlich für korrupt halten. 87 Prozent denken so.

Doch stichhaltig belegen konnte sie ihren schweren Vorwurf gegen das Ehepaar Muscat nicht. Auch in anderen Fällen fehlten ihr Beweise. Und so wurde sie mit vielen Verleumdungsklagen eingedeckt. Am Ende waren es 42. Bei der Suche nach den Mördern werden sich die Ermittler wohl auch die Liste der Kläger ansehen.

Zunächst analysieren sie nun aber die Spuren der Bombe. Sie soll aus Semtex gefertigt gewesen sein, einem Plastiksprengstoff. Siziliens Mafia setzte früher Semtex ein. Und libysche Terroristen brauchten Semtex, als sie 1988 die Pan-Am-Maschine über dem schottischen Lockerbie zum Explodieren brachten.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2017
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