Süddeutsche Zeitung

Spionageaffäre:Präsident ohne Ahnung

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US-Präsident Barack Obama will von all den Schnüffeleien in Berlin nichts erfahren haben. Dahinter steckt die Strategie: Nichts gewusst, also nicht verantwortlich. Das wirkt inzwischen eher peinlich als gekonnt.

Ein Kommentar von Hubert Wetzel

Wissen ist Macht. Aber selbst der mächtigste Mann der Welt kann offenbar nicht alles wissen. US-Präsident Barack Obama jedenfalls glänzt seit einiger Zeit mit erstaunlichen Wissenslücken. Die NSA überwacht das Telefon der Bundeskanzlerin - der Präsident hat davon nichts gewusst. Die CIA schöpft mindestens einen deutschen Beamten, eventuell auch zwei, ab - Obama war ahnungslos. Es können auch noch mehr US-Informanten in deutschen Ministerien sitzen, wer weiß das schon, irgendein amerikanischer Geheimdienstler vielleicht, der die Honorare abzeichnet - der amerikanische Präsident aber sicher nicht.

Der mächtigste Mann der Welt darf vielleicht nicht alles wissen

Nun ist es so, dass der mächtigste Mann der Welt manchmal gar nicht alles wissen muss, vielleicht gar nicht alles wissen darf. Sei es, weil viele Informationen für ihn unwichtig sind. Sei es aber auch, weil manche Informationen politisch so sensibel und heikel sind, dass man sie vom wertvollsten (und verwundbarsten) Mitglied des USRegierungsapparats fernhalten muss.

Denn wenn bei einem Skandal erst einmal gefragt wird, was der Präsident wann wusste, dann wird es ernst. Es ist also verständlich, wenn Obama aus Gründen des Selbstschutzes mitteilen lässt, er habe von all den Schnüffeleien bei den Freunden in Berlin nichts erfahren. Nichts gewusst - also nicht verantwortlich, so ist die Argumentation des Weißen Hauses.

"Herr Lehrer, der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen..."

Doch inzwischen wirkt das Nichtwissen des Präsidenten eher peinlich als gekonnt. "Herr Lehrer, der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen . . ." Erwartet die USRegierung ernsthaft, dass man das immer noch als Ausrede gelten lässt?

Spätestens als die Sache mit Merkels Telefon aufgeflogen war, hätte sich jemand im Präsidialamt - vielleicht Obamas Sicherheitsberaterin, vielleicht auch der Präsident selbst, sofern es ihn interessiert - einmal eingehender mit der amerikanischen Spionagetätigkeit in Deutschland befassen müssen. Man hätte die Dienste dazu zwingen müssen, eine Liste mit allen Agenten und deren Einsätzen zusammenzustellen. Und dann hätte man diese Liste Punkt für Punkt durchgehen müssen, um den nachrichtendienstlichen Ertrag, den eine Quelle oder Operation einbringt, gegen die politischen Kosten abzuwägen, die bei deren Entdeckung entstehen. Dass ein Unterling im BND im Sinne dieser Abwägung als Informant eher untauglich ist, wäre dann vielleicht aufgefallen.

Besser ein Spion beim BND, als kein Spion beim BND

Diese Abwägung kann nur das Weiße Haus machen. Vom Außenministerium lässt sich die CIA nichts sagen. Und wenn die Geheimdienste selbst diese Kosten-Nutzen-Rechnung anstellen sollen, werden sie immer die Kosten klein- und den angeblichen Nutzen großrechnen. Für einen CIA-Vertreter in Berlin, dessen Aufgabe unter anderem darin besteht, Spionage zu betreiben, ist es immer besser, einen Spion beim BND zu haben, als keinen Spion beim BND zu haben.

Nichts gewusst zu haben, entschuldigt daher nichts. Im Gegenteil: Obama wirkt so nicht nur respektlos einem Verbündeten gegenüber. Sondern inkompetent.

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Quelle:
SZ vom 12.07.2014
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