Süddeutsche Zeitung

SPD:Das Problem der SPD ist ihre Mentalität

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Der geringe Stolz auf das Erreichte, die groß artikulierte Unzufriedenheit über noch nicht Erreichtes: Das scheint zur Partei zu gehören wie die Farbe Rot. Wer an der Spitze steht, ist zweitrangig.

Kommentar von Detlef Esslinger

Wieder einmal ist bei der SPD die Zeit der guten Vorsätze: Wir wollen nun Teamgeist zeigen. Wir wollen Solidarität nicht nur fordern, sondern auch leben. Wir wollen endlich auch mit unserem Personal anständig umgehen. Also haben sich nun die meisten Delegierten des Parteitags hinter dem neuen Führungsduo vereint. Dass Saskia Esken jedoch deutlich weniger Stimmen erhielt als Norbert Walter-Borjans, dass sich bei ihr jeder vierte Delegierte nicht an das Votum der Mitglieder gebunden fühlen wollte - dies deutet darauf hin, dass der beschworene Friede so fragil bleibt, wie man es von der SPD gewohnt ist. Kampfkandidaturen um die Posten der Stellvertreter gab es am Freitag nicht, sondern es wurde kurz vor der Abstimmung die Zahl dieser Posten der Zahl der Bewerber angepasst. Nach Monaten des parteiinternen Wahlkampfs bestand an weiteren Verlierern kein Bedarf.

Ob jetzt, ob diesmal alles besser wird, hängt aber beileibe nicht nur von der neuen Parteispitze ab. Deren Verantwortung wird sein, den versprochenen neuen Umgang miteinander vorzuleben - die Reden, die Esken und Walter-Borjans im Saal hielten, deuten darauf hin, dass sie es vorhaben; die Worte, die sie zuvor im SZ-Interview für ihren unterlegenen Konkurrenten Olaf Scholz fanden, zeigten, wie sehr die eigene Mentalität auch dem besten Vorhaben im Weg stehen kann: Sie sehen in dem Finanzminister künftig eine Art obersten Boten der Partei in der Regierung. Old habits die hard, alte Gewohnheiten lassen sich schwer ablegen, wie Mick Jagger mal sang. Sollte dies tatsächlich ihr Kurs werden: viel Freude damit.

Davon abgesehen jedoch war das Problem der SPD immer nur zum kleineren Teil, wer jeweils an ihrer Spitze stand, wer dort jeweils was richtig oder falsch machte. Ihr Problem war vor allem stets die Mentalität, die zur SPD zu gehören scheint wie die Farbe Rot: der geringe Stolz auf das Erreichte, die groß artikulierte Unzufriedenheit über das bislang noch nicht Erreichte.

Mit jenen 20,5 Prozent, die die Partei bei der Bundestagswahl 2017 erzielte, hat sie nicht nur neulich die Grundrente durchgesetzt, sondern zuvor, unter anderem: dass die Arbeitgeber wieder genauso viel in die Krankenversicherung einzahlen wie die Arbeitnehmer; dass 430 000 Paketboten nicht mehr mittels Tricks ihrer Auftraggeber ausgebeutet werden; dass der Kinderzuschlag für Geringverdiener und der Mindestlohn für Pflegehilfskräfte erhöht worden ist; dass man demnächst in Teilzeit gehen kann und dabei das Recht erhält, in die Vollzeit zurückzukehren. Und so weiter, und so fort. "Darauf bin ich mächtig stolz" - solch einen Satz aber hat am Freitag nicht Saskia Esken gesagt, sondern Malu Dreyer, ihre kommissarische Vorgängerin.

Es ist ja das ebenso legitime wie derzeit leicht verwegen klingende Ziel der Sozialdemokraten, wieder eine Regierung anzustreben, in der sie sich nicht mehr mit der Union herumplagen müssen. Aber dies wollen sie erreichen, indem sie den Ausstieg aus der Koalition erwägen? Indem sie versuchen, die Wähler mit schlechter Laune zu überzeugen? Kevin Kühnert, der Juso-Chef, sagt, er habe keine "Oppositionssehnsucht". Es gibt inzwischen Bundesländer, in denen kann die SPD bei der nächsten Wahl froh sein, wenn es noch zur Opposition reicht.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2019
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