Süddeutsche Zeitung

SPD:Nahles macht Karriere

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In der großen Koalition ist SPD-Generalsekretärin Nahles höchstwahrscheinlich eine der Gewinnerinnen. Möglicherweise bekommt sie sogar ihren Traumjob - gar nicht schlecht für eine Frau, die in der eigenen Partei bis vor Kurzem noch als Persona non grata galt.

Von Susanne Höll, Berlin

Mitte November, auf dem SPD-Parteitag in Leipzig, wird sich Generalsekretärin Andrea Nahles um eine zweite Amtszeit bewerben. Und wenn es bis dahin keine Katastrophen gibt, sei es in der SPD oder bei den Koalitionsverhandlungen mit der Union, wird sie auch wieder gewählt werden. Ob sie abermals vier Jahre die Geschäfte im Willy-Brandt-Haus führen wird, ist ziemlich fraglich, zumindest nach dem aktuellen Stand der Dinge. Denn wenn sich die Unionisten und die Sozialdemokraten auf eine Neuauflage von Schwarz-Rot verständigen, steigt Nahles mit großer Wahrscheinlichkeit auf.

Allerdings weiß weder sie noch irgendwer sonst derzeit, wohin genau dieser Weg führen könnte. Zur Auswahl stehen: das Kabinett von Angela Merkel oder vielleicht auch der Chefposten in der SPD-Bundestagsfraktion. Keine schlechten Aussichten für eine Frau, die vor noch nicht allzu langer Zeit Persona non grata in der eigenen Partei war, verschrien als Nervensäge mit wenig Aussichten auf eine Karriere in der Bundespolitik.

Und nun? Nun darf sie sich Hoffnungen machen, dass sie, mit etwas Glück, die erste Sozialdemokratin an der Spitze des Bundesarbeitsministeriums werden könnte. Also Nachfolgerin der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen, mit der sie in diesen Wochen arbeits- und sozialpolitische Vereinbarungen für einen Koalitionsvertrag aushandelt. Den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro will sie durchsetzen - besser gesagt, sie muss es tun. Denn andernfalls dürfte die SPD-Basis im geplanten Mitgliederentscheid Schwarz-Rot einen Strich durch die Rechnung machen. Dieser Ministerposten wäre ihr Traum, seit Langem schon. Darüber spricht sie allerdings recht selten. In diesen Tagen überhaupt nicht.

Schweigen für die parteiinternen Kritiker

Denn die SPD-Führung hat sich auf dem für sie so schwierigen Weg in eine Regierung ein Schweigegebot in Sachen Personalia auferlegt. In den eigenen Reihen gibt es viele Skeptiker und Kritiker, die glauben, ihre Spitzenleute wollten um jeden Preis ein Ministeramt und seien deshalb bereit, die Seele der Partei für einen Kabinettssessel zu verkaufen. Sie sollen besänftigt werden, so gut es eben geht. Und deshalb hat der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel in formellen Runden bislang kein Wort über eine Ressort-Verteilung fallen lassen, geschweige denn über Minister-kandidaten.

Auch persönlich hat sich Gabriel dem Vernehmen nach noch nicht entschieden, welchen Job er neben dem Parteichef gern machen würde in einer großen Koalition. Von seiner Entscheidung allerdings hängt maßgeblich ab, was aus Andrea Nahles wird. Würde der Parteichef, wenngleich wider Willen, doch Finanzminister, Ressortchef im Auswärtigen Amt oder Wirtschaftsminister mit größerer Zuständigkeit für Energie, wäre der Weg für eine Arbeitsministerin Nahles frei. Gut möglich aber, dass Gabriel schlussendlich selbst dieses Ressort übernimmt; schließlich war einer seiner Vorgänger, Franz Müntefering, auch Vizekanzler und Arbeitsminister unter Merkel.

Dann muss sich Nahles überlegen, ob sie ein anderes Ministerium übernimmt oder sich als erste Frau um den Fraktionsvorsitz bewirbt. Letzteres würde aber voraussetzen, dass sich der gerade im Amt bestätigte Frank-Walter Steinmeier von Gabriel doch noch zu einem Wechsel in ein Regierungsamt bewegen lässt. Auf jeden Fall aber werden Nahles und Gabriel auch in den nächsten Jahren ziemlich eng zusammenarbeiten müssen. Dass sie das überhaupt können, hatten nicht wenige vor vier Jahren stark bezweifelt, sie selbst eingeschlossen.

Nahles und ihr Ruf als "Königsmörderin"

In einer Hinterzimmer-Aktion wurden nach der SPD-Niederlage bei der Bundestagswahl 2009 die Parteijobs neu verteilt - Gabriel wollte Vorsitzender werden, der Posten des Fraktionsvorsitzenden war schon mit Steinmeier besetzt. Nahles meldete Anspruch auf das Generalsamt an, jenen Posten, den sie 2005 schon einmal unbedingt wollte. Damals trat sie gegen den Favoriten des damaligen Parteichefs Müntefering an, setzte sich durch - und Müntefering trat zurück.

"Königsmörderin" nannte man sie damals. Sie hatte einen furchtbaren Schrecken bekommen, ob der von ihr unbedachten Folgen der Aktion. Sie bereute, nicht zuletzt deshalb, weil diese Episode den wenig schmeichelhaften Eindruck stärkte, Nahles lasse Leute über die Klinge springen, wenn es ihr opportun erscheine.

Gabriel und Nahles verband vor vier Jahren wenig, wechselseitiges Misstrauen und Antipathie einmal ausgenommen. Als sie 2010 mit ihrer Tochter schwanger war, bangte sie sogar öffentlich um ihren Job. Die inzwischen 43-Jährige zählt, anders als man glauben könnte, nicht zu den Selbstgewissen und Selbstverliebten. Zwischen ihr und Gabriel hat es immer wieder gekracht, seit dem für die SPD schwierigen Wahlkampf läuft es besser. Sie haben dem Vernehmen nach erkannt, was sie aneinander haben. Gabriel schätzt ihr Organisationstalent, vielleicht auch ihre Disziplin. Nicht so sehr ihre öffentlichen Auftritte, in der sie mit manchmal eigenartigen Sprachbildern befremdet.

Andrea Nahles hat an sich gearbeitet, so, wie sie schon längst nicht mehr die linke Flügel-Frau aus ihren Juso-Chefinnen-Zeiten ist. Unumstritten ist sie allerdings nicht. Doch selbst skeptische Geister in der SPD sagen: "Im stattlichen Kreis der Frauen um die 40 Jahre ist Nahles die mit Abstand stärkste."

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SZ vom 05.11.2013
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