Süddeutsche Zeitung

SPD:Die Dosis

Vor einem Jahr wurde Sigmar Gabriel von der neuen SPD-Spitze kaltgestellt. Nun zeigt sich: Die Partei braucht einen wie ihn.

Von Heribert Prantl

Eigentlich ist es ein vergiftetes Kompliment, das Gerhard Schröder dem Sigmar Gabriel macht: Er nennt ihn "begabt"; er sei "vielleicht der begabteste Politiker" der SPD. Das ist eine fast herablassende Würdigung für den Politprofi Gabriel, der gut sieben Jahre lang SPD-Chef war und jetzt auf dem Parteiparkplatz steht. Aber falsch ist es nicht, was Schröder sagt: Gabriel ist die große Nummer unter den Sozialdemokraten; bei den Sozialdemokratinnen ist es Franziska Giffey. Und dass es angesichts der elenden Lage der SPD starke Sehnsüchte gibt, bis hin zu einer Doppelspitze, ist nicht verwunderlich.

Gift oder Medizin für die SPD? Seit Paracelsus weiß man: Die Dosis macht das Gift. Nahles und Co. haben vor einem knappen Jahr dem damals populärsten Sozialdemokraten den Laufpass gegeben. Sigmar Gabriel war Nahles, Dreyer, Schwesig und Co. zu hemdsärmelig und zu präpotent, sie fürchteten dessen Quertreibereien. Die Entscheidung, den Mann abzumeiern, war verständlich, aber unsouverän; der Verzicht auf Gabriel hat die Partei geschwächt. Im Übrigen: Würde man alle abmeiern, die ein großes Ego haben - es bliebe von den Parteien nicht sehr viel übrig.

Die SPD hat einst das Ego von Leuten wie Willy Brandt, Helmut Schmidt und Herbert Wehner ausgehalten, jedenfalls eine lange Zeit; und diese lange Zeit des Aushaltens hat der Sozialdemokratie gut getan. Es war die große Zeit der Partei. In der kleinen Zeit der Partei kann nicht schlecht sein, was in der großen Zeit gut war.

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SZ vom 02.02.2019
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