Süddeutsche Zeitung

SPD-Chef Sigmar Gabriel:Gute, alte Ehrlichkeit

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel fordert nach der Affäre Wulff eine "neue Ehrlichkeit", vergisst dabei allerdings eines: Der Bundespräsident steht mit seinem Ausfluchtsverhalten noch lange nicht für alle Politiker. Das Fehlverhalten Einzelner sollte nicht zur Messlatte für eine ganze Berufsgruppe werden.

Kurt Kister

"Neue Ehrlichkeit" in der Politik fordert der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Es würde schon reichen, wenn der eine oder andere Politiker sich einfach der guten, alten Ehrlichkeit befleißigte.

Ehrlichkeit bedeutete zu Helmut Kohls Zeiten dasselbe wie unter Rot-Grün bei Gerhard Schröder oder während der Regierung des Christian Wulff in Niedersachsen. Leider definierte jeder der Genannten Ehrlichkeit auf seine Weise. Das ist der wahre Grund für jene Politikerverdrossenheit, die Gabriel fälschlicherweise Politikverdrossenheit nennt.

Politiker haben durchaus ein Recht auf Privatleben, auch was ihre Finanzen angeht. Wer von ihnen, wie jetzt Gabriel, verlangt, sie müssten stets alle Einkünfte offenlegen, der glaubt im Prinzip, dass es mit der Ehrlichkeit von Politikern nicht weit her sein kann. Das ist eine pauschalisierende Annahme, die der in der Volkstribunwerdung begriffene Gabriel hopplahopp unter die Leute streut.

Die große Mehrzahl der Politiker nimmt keine windigen Kredite und lässt sich auch nicht indirekt von Wladimir Putin anstellen. Das Fehlverhalten Einzelner sollte, auch wenn es sich dabei um hochrangige Politiker handelt, nicht zur Messlatte für die ganze Berufsgruppe werden.

Wulff steht mit seinem Ausfluchtsverhalten, auch wenn er Bundespräsident ist, nicht für die Politiker. Seine Aufgabe ist größer als er, weswegen er in Zukunft alles tun sollte, um sich dieser Anforderung in Demut anzunähern. Zwar hört man immer wieder gerne Nachdenkliches von Politikern, gerade auch von Gabriel. Interessant wäre zum Beispiel, was er davon hält, dass etliche derer, die in der Affäre Wulff eine Rolle spielen, auch in Schröders (und Steinmeiers) Kanzleramt gern gesehen waren.

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Quelle:
SZ vom 27.12.2011
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