Süddeutsche Zeitung

SPD:Auf den Barrikaden

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Ein Impulspapier provoziert die SPD-Linke. Sie wehrt sich gegen Gabriels Versuch, die Partei in die Mitte zu rücken. Das Papier wurde daraufhin offenbar in mehreren Stufen entschärft und bereinigt - doch das reicht manchen nicht.

Von Christoph Hickmann, Berlin

In der SPD schreibt man recht gern Papiere - zur Strategie, zur Auswertung von Wahlergebnissen, zu diesem und jenem Politikfeld. Man streitet auch gern über Papiere. Dass aber ein Papier, das es offiziell noch gar nicht gibt, Aufregung auslöst, ist selbst für die SPD ungewöhnlich.

Es geht um (nach letztem Stand) 23 Seiten unter der Überschrift "Starke Ideen für Deutschland 2025. SPD." Untertitel: "Impulse für die sozialdemokratische Politik im kommenden Jahrzehnt". Seit einiger Zeit kursieren Zwischenstände dieses Papiers in Partei und Medien, zunächst berichtete die Zeit darüber, offiziell vorgestellt ist es noch nicht. Beschlossen wurde es vom SPD-Präsidium, doch tatsächlich steht dahinter vor allem der Vorsitzende: Sigmar Gabriel. Und vor allem gegen ihn richtet sich der Unmut, den das Papier unter Parteilinken erzeugt.

Das Papier ist der erste Versuch, eine Richtung für den nächsten Wahlkampf vorzugeben - auch wenn es zu Beginn heißt, der Beschluss sei lediglich "eine Diskussionsgrundlage". Vor allem aber ist in dem Papier erstmals Gabriels seit Längerem erkennbarer Kurs programmatisch skizziert, die SPD in die Mitte zu rücken.

Da heißt es etwa, der Staat habe die Aufgabe, die "soziale, innere, äußere Sicherheit" herzustellen - doch woher solle das Geld kommen? "Die SPD ist gut beraten, die Antwort darauf nicht vorschnell mit dem Ruf nach höheren Schulden oder höheren Steuern zu geben." Steuern und Sozialabgaben sollten "nicht hoch, sondern fair sein". Das klingt wie die endgültige Abkehr vom Wahlprogramm 2013, in dem Steuererhöhungen noch eine zentrale Rolle gespielt hatten. Überhaupt wird die Bundesrepublik, anders als damals, in dem Papier als "starkes Land" beschrieben.

Auch sonst werden neue Töne angeschlagen. So wird ein "patriotisches Selbstverständnis" proklamiert - die SPD solle "sich dazu bekennen, dass sie für einen weltoffenen und verantwortungsbewussten Patriotismus" stehe. Zudem gibt es Anklänge an Gabriels umstrittene Kontaktaufnahme mit Anhängern der Pegida-Bewegung: Statt die Sympathisanten rechter Populisten auszugrenzen, heißt es da, solle die SPD mit denen ins Gespräch kommen, "die sich in den politischen und ökonomischen Elitendialogen nicht mehr wiederfinden". Stark betont wird außerdem der Aspekt Sicherheit - was letztlich zu Gabriels jüngstem Kraftakt passt, die Vorratsdatenspeicherung gegen immensen Widerstand in der Partei durchzusetzen. Im Mittelpunkt sozialdemokratischer Politik, heißt es, müsse die "arbeitende Mitte" stehen.

Der erste Versuch, eine Richtung für den nächsten Wahlkampf vorzugeben

Das Papier wurde offenbar in mehreren Stufen entschärft und bereinigt. So soll es ursprünglich die Idee gegeben haben, Steuererhöhungen sogar eine klare Absage zu erteilen. Und in einer älteren Fassung wurde die hierzulande weit verbreitete politische Haltung noch so beklagt: "Wir wollen keine Atomenergie, kein Fracking, Banken nur in Form von Sparkassen, keine Freihandelsabkommen, keine Stromtrassen, am liebsten keine Kohleenergie, keine Gentechnologie und keine neuen großen Infrastrukturvorhaben wie z.B. Bahnhöfe und Flughäfen." Daraus wurde in der bislang letzten Fassung, deutlich vorsichtiger: "In der Öffentlichkeit wird meist darüber diskutiert, was wir alles nicht wollen: von großen Infrastrukturprojekten wie Stromtrassen bis hin zu Freihandelsabkommen."

Für die Parteilinken enthält der Text noch genug Provokationen. "Nach allem, was von diesem Papier bislang bekannt ist, kann es tatsächlich nur eine erste Diskussionsgrundlage sein", sagt der Berliner SPD-Landeschef Jan Stöß. "Mich irritiert die Betonung von Patriotismus und nationaler Bindekraft, das ist eine Abkehr vom Verfassungspatriotismus, wie wir ihn von Jürgen Habermas übernommen haben." Es sei "bemerkenswert, was in diesem Papier offenbar fehlt: Das Thema soziale Gerechtigkeit, die wir auch durch eine gerechtere Steuerpolitik erreichen wollen."

Noch schärfer wird die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann: "Dieses Papier ist kein großer Wurf. Sicherheit, Patriotismus und neoliberale Rezepte - das ist CDU-light." Ähnlich klingt die SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21: "Zu glauben, über eine Patriotismus- und Sicherheitsdebatte die Partei zu begeistern und zu überzeugen, ist ein Trugschluss." Und Matthias Miersch, frisch gewählter Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Fraktion, warnt: "Soziale Gerechtigkeit bleibt unser Markenkern. Deshalb können wir nicht ohne das Thema Umverteilung in den Wahlkampf gehen."

Gabriel und die SPD-Linke, das war mal eine Beziehung voller Hoffnung - zumindest von Seiten der Linken. Sie begann 2009, als Gabriel die Partei übernahm und sanfte Korrekturen an den verhassten Reformen der Regierungsjahre vornahm, an Hartz IV und der Rente mit 67. Mittlerweile ist die Beziehung erkaltet. Über das Präsidiumspapier sagt der Berliner Landeschef Stöß: "Für mich wirkt das wie der Versuch eines programmatischen Rollbacks."

Selbst Präsidiumsmitglieder lassen vorsichtig Distanz erkennen. "Wir beginnen jetzt einen Diskussionsprozess", sagt Parteivize Ralf Stegner. Falsch sei jedenfalls der Eindruck, die SPD rücke nach rechts. Jene Inhalte, über die man sich in den Koalitionsverhandlungen nicht mit der Union habe einigen können, blieben "natürlich Programm". Übersetzt heißt das: auch die Steuererhöhungen. Und der hessische SPD-Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel sagt, das Papier sei "nur der Auftakt der Debatte". Man werde "auch darüber reden müssen, wie wir soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit herstellen". Globalisierung und Digitalisierung erzwängen neue Antworten. "Und da gehört Steuergerechtigkeit auch in den Instrumentenkasten".

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SZ vom 02.07.2015
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