Süddeutsche Zeitung

Spanien:"Kriminalisierung des Feminismus"

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In Madrid sind alle Kundgebungen zum Weltfrauentag verboten. Eine Reaktion auf den Vorwurf, die Demonstrationen im Vorjahr hätten die Corona-Pandemie erst losgetreten.

Von Karin Janker, Madrid

Dass der Weltfrauentag in diesem Jahr anders würde als in anderen Jahren, war klar. Aber dass er ganz ausfallen soll, war nicht abzusehen. Bisher gingen am 8. März in Spanien landesweit bis zu fünf Millionen Frauen auf die Straße, 2018 mischte sich sogar die erste Frau des Landes, Königin Letizia, unter die Streikenden. Damals stand der Tag unter dem Motto: "Wenn die Frauen streiken, steht die Welt still." Im März 2021 steht die Welt auch ohne Streik still.

Also passten die Frauen ihre Kundgebungen an pandemische Bedingungen an: In Madrid, wo traditionell der größte Protestzug stattfindet, waren für das Wochenende vier Demonstrationen mit je 500 Menschen angekündigt, in einigen Vorstädten symbolische Kundgebungen mit 30 bis 50 Menschen. Die Plätze, auf denen demonstriert werden sollte, würden abgesperrt, damit nicht doch mehr Menschen dazukämen. Es sollten Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden, hieß es von den Veranstaltern.

Dennoch hat die zuständige Behörde sämtliche Demonstrationen zum Weltfrauentag in der spanischen Hauptstadt verboten. "Aus Gründen der öffentlichen Gesundheit", heißt es in der Mitteilung, die José Manuel Franco, Regierungsgesandter für die Region Madrid, am Donnerstag verschickte. Er treffe diese Entscheidung, weil die Infektionszahlen und die Krankenhausauslastung in der Hauptstadtregion nach wie vor hoch seien.

Damit erlaubt Madrid als einzige von 17 Regionen keinerlei Demonstrationen zum Weltfrauentag. Der Grund dafür dürfte nicht nur im Infektionsgeschehen liegen. Schließlich haben Bars, Restaurants, Kinos und Theater trotzdem geöffnet. Die Madrider Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso verantwortet den laxesten Lockdown des Landes. Auszuschließen ist auch, dass die Behörden Demonstrationen generell als besondere Gefahr für die Virusverbreitung ansehen. Schließlich wurde in Madrid zuletzt durchaus für oder gegen manch anderes demonstriert: gegen die Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten, für ein Verbot der Jagd - sogar eine Kundgebung für die Gefallenen der Blauen Division, die für Hitler in den Krieg gegen die Sowjetunion zog, durfte stattfinden.

Der 8. März wurde in Spanien zu einem Datum, das eng mit der Pandemie verbunden ist

Das Verbot der Weltfrauentagsdemos in Madrid hat noch einen weiteren Grund, der jenseits der Abwägung zwischen Ansteckungsrisiko und dem Recht auf freie Meinungsäußerung liegt: Der 8. März wurde in Spanien zu einem Datum, das innig mit der Pandemie selbst verbunden ist. Denn am 8. März 2020 fand zuletzt eine Großdemonstration für Geschlechtergerechtigkeit statt. Damals rief Gleichstellungsministerin Irene Montero per Twitter dazu auf, gegen sexualisierte Gewalt zu demonstrieren: "Für die, die vor uns lebten, und die, die nach uns kommen."

Mehr als 120 000 Menschen folgten damals dem Aufruf - im Nachhinein ein Wahnsinn. Denn am 14. März verhängte Ministerpräsident Pedro Sánchez den Alarmzustand, schickte ganz Spanien in den strengsten Lockdown Europas. Dazwischen lagen sechs Tage und eine Nachricht, die Spanien bis heute beschäftigt: Am 12. März teilte Gleichstellungsministerin Montero mit, dass sie positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Sie stand bei der Demo in vorderster Reihe. Seither gilt vielen der 8. März 2020 als jener Tag, an dem die Corona-Pandemie in Spanien so richtig ins Rollen kam.

Bereits am 3. März hatte die Europäische Seuchenschutzbehörde die Warnstufe angesichts des damals noch unbekannten Virus erhöht. Spaniens Gesundheitsministerium zog daraus keine Konsequenzen. Die Frage, ob es Anlass gegeben hätte, die Kundgebungen zu verbieten, beschäftigte Öffentlichkeit und Justiz Monate. Sämtliche Ermittlungen wurden eingestellt. Aber der Vorwurf, Montero und "ihre Feministinnen" seien verantwortlich für Tausende Tote, hält sich seither nicht nur in sozialen Netzwerken. Das Verbot der diesjährigen Kundgebungen ist somit auch eine Reaktion auf das Geschehen im Vorjahr. Ministerin Montero, die angekündigt hatte, diesmal nicht zu demonstrieren, spricht von einer "Kriminalisierung des Feminismus".

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