Süddeutsche Zeitung

Wahlen in Spanien:Sánchez geht ein großes Risiko ein

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Von Thomas Urban, Madrid

Noch bleibt ein Fünkchen Hoffnung, dass den Spaniern die vierten Parlamentswahlen innerhalb von vier Jahren erspart bleiben: Erst in vier Tagen läuft die gesetzliche Frist ab, in der nach einer Wahl das Parlament eine neue Regierung gewählt haben muss. Doch die Chancen dafür sind minimal, nachdem König Felipe VI. gestern Abend erklärt hatte, er werde niemandem den Auftrag zur Regierungsbildung geben, da sich dafür keine Mehrheit abzeichnet.

Der geschäftsführende Premierminister Pedro Sánchez wirkte säuerlich, als er dies seinen Landsleuten verkündete. Doch spricht vieles dafür, dass er es gezielt auf Neuwahlen angelegt hat. Der Grund: Alle Umfragen sehen die von ihm geführte traditionsreiche Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) mit großem Abstand vorn, mit mehr als 30 Prozent Zustimmung liegt sie mehr als zehn Punkte vor der konservativen Volkspartei (PP).

Sánchez geht dabei ein Risiko ein: Der klare Sieg der PSOE bei den letzten Wahlen im April war vor allem dem Vox-Effekt zu verdanken: Die neue nationalistische Partei war im Frühjahr klar im Aufwärtstrend, dies hat viele traditionelle PSOE-Wähler mobilisiert, die den Aufstieg der Rechtsradikalen blockieren wollten.

Doch mittlerweile hat den Umfragen zufolge Vox deutlich an Zustimmung verloren. Dies könnte dazu führen, dass viele Wähler, die mit der PSOE oder den anderen linken Gruppierungen sympathisieren, am Wahltag zu Hause bleiben. Anvisiert wird für den nächsten Urnengang der 10. November.

Es ist also nicht auszuschließen, dass sich im Parlament nach den nächsten Wahlen dasselbe Patt ergibt, das derzeit die spanische Politik lähmt: Sowohl das linke als auch das rechte Lager haben keine Mehrheit im Parlament. Jede Regierung wäre abhängig von den Abgeordneten der Regionalparteien im Baskenland und in Katalonien. Allerdings streben die katalanischen Separatisten nach wie vor die Loslösung ihrer Heimatregion von Spanien an, sie kommen also als Koalitionspartner nicht in Frage.

Statt mit den Linken könnte Sánchez ein Bündnis mit den Liberalen anstreben

Sánchez kann nur hoffen, dass die PSOE ein paar Sitze dazugewinnt und sein Wunschpartner genügend Mandate behält, so dass es erstmals zu einer Zweierkoalition reicht. Nach Meinung vieler Kommentatoren in Madrid ist sein Wunschpartner keineswegs das linksalternative Bündnis Unidas Podemos, sondern es ist die rechtsliberale Bürgerpartei (Ciudadanos).

Mit Podemos teilt die PSOE zwar viele gesellschaftspolitische Positionen, doch in der Wirtschaftspolitik liegen beide Parteien weit auseinander. Sánchez, der in jungen Jahren Assistent eines spanischen Europa-Abgeordneten war und die politischen Mechanismen in Brüssel kennengelernt hat, möchte die EU-Vorgaben für das Haushaltsdefizit einhalten. Auch weiß er, dass einer der Hauptgründe für die große spanische Wirtschaftskrise die unsolide Finanzpolitik des letzten sozialistischen Kabinetts unter José Luis Zapatero vor anderthalb Jahrzehnten war. Podemos aber möchte Milliarden an Krediten aufnehmen, um Sozial- und Kulturprogramme zu finanzieren.

Die Ciudadanos haben zwar in den vergangenen Monaten gegenüber Sánchez auf harte Konfrontation gesetzt. Sie werfen ihm vor, mit den katalanischen Separatisten geredet, anstatt sie entmachtet zu haben. Auch hatte der Ciudadanos-Chef Albert Rivera einen Rechtsschwenk durchgesetzt, da er den Ehrgeiz hat, die führende Figur im rechten Parteienspektrum zu werden.

Doch zeigen die Umfragen, dass die Ciudadanos durch den Rechtsschwenk stark an Zustimmung verloren haben. Deshalb versucht Rivera nun, wieder die Mitte zu besetzen. Er steht auch unter Druck verbündeter Parteien in Europa; in Madrid wird kolportiert, dass vor allem der französische Präsident Emmanuel Macron versucht, Rivera und seine Partei zu einer konstruktiven Haltung zu bewegen, also zur Bildung einer Mitte-links-Koalition mit der PSOE. Denn ein instabiles Spanien kann nicht im Interesse der anderen EU-Länder liegen.

Sánchez selbst, derzeit neben dem portugiesischen Premier António Costa der erfolgreichste Sozialdemokrat in Europa, müsste dafür allerdings auch verbindlicher werden. Podemos-Chef Pablo Iglesias hat ihm vorgeworfen, er trete so arrogant auf, als könne er sich auf die absolute Mehrheit stützen. Dabei sind es bislang ganze 123 von 350 Sitze im Abgeordnetenhaus.

Die kommenden Wochen könnten allerdings das Parteiengefüge durcheinanderbringen. Denn es stehen die Urteile in zwei großen Prozessen an: Ein hartes Verdikt gegen die katalanischen Separatisten könnte in ihrer Heimat die Wähler mobilisieren, so dass deren Abgeordnete noch mehr Möglichkeiten bekommen, das Parlament in Madrid zu lähmen. Und in Andalusien stehen zwei ehemalige Regionalpräsidenten der PSOE wegen Korruption vor Gericht. Auch die Berichterstattung darüber könnte viele Traditionswähler der Sozialdemokraten dazu bringen, am Wahltag zu Hause zu bleiben.

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