Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:"Europa riskiert den Bruch"

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Von Oliver Meiler, Rom

Aus dem Süden Europas erhebt sich ein lauter Ruf, gerichtet an alle Partner in der EU: Jetzt oder nie. Angestimmt wird er von drei Ländern, die von der Pandemie besonders stark getroffen sind - Italien, Spanien und Frankreich. In Italien spricht man bereits vom "Fronte mediterraneo", der Front des Mittelmeers. Auch das Wort "Achse" zwischen Rom, Paris und Madrid wird schon bemüht, obschon der Begriff normalerweise geografisch und historisch anders besetzt ist. Aber was ist schon normal gerade?

Der Streit über die wirtschaftliche Antwort auf die Folgen von Corona geht in eine entscheidende Woche. Noch stehen sich die Gegner einer Vergemeinschaftung von Schulden (insbesondere Deutschland, die Niederlande und Österreich) scheinbar unversöhnlich gegenüber mit den südlichen Fürsprechern. "Europa riskiert den Bruch", schreibt Spaniens Premier Pedro Sánchez in einem offenen Brief, den die römische Zeitung La Repubblica publizierte. Es ist ein Plädoyer geworden gegen "alte Dogmen" und für "großes Denken". "Ohne Solidarität untereinander gibt es keine Kohäsion, ohne Kohäsion entfremden wir uns, und das würde das europäische Projekt schwer beschädigen."

Für Dienstag ist eine Videokonferenz der Wirtschafts- und Finanzminister der Euro-Gruppe geplant. Sie wird alle möglichen Lösungen prüfen, so steht es in der Aufgabenstellung. Am Donnerstag soll dann eine Videositzung aller Staats- und Regierungschefs folgen - falls die Südallianz die Verhandlungen nicht vorher abbricht. Gibt es nämlich keine Diskussionen über "Corona-Bonds" oder wie man eine Aufwendung auch nennen mag, die von allen 27 Ländern getragen würde, müsste der Europäische Rat wohl auf nach Ostern verschoben werden.

Es ist ja nicht so, dass man zum Beispiel in Rom fände, Europa sei untätig: Die Aussetzung des Stabilitätspakts, die Zulassung von Staatshilfen, das Kurzarbeitsprogramm "Sure" der EU-Kommission über 100 Milliarden Euro, der Fonds der Europäischen Investitionsbank für die Unternehmen über 200 Milliarden Euro, das Programm der Europäischen Zentralbank für den Aufkauf von Staatsanleihen - und all die Dinge, auf die Finanzminister Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas am Wochenende in einem Artikel für Zeitungen von Portugal bis Griechenland wieder hingewiesen haben: das alles nimmt man im Süden durchaus wahr. "Aber das reicht nicht", schreibt auch Sánchez. Die Herausforderung sei sehr viel größer, als es die Mittel seien, die bisher versprochen wurden.

In Spanien stieg die Zahl der Toten am Sonntag etwas weniger stark als in Tagen davor

In diesem Zusammenhang fällt nun oft ein anderer historisch vorbelasteter Begriff: Marshall-Plan. Wie nach dem Krieg, als die USA für Westeuropa ein großes Paket für den Wiederaufbau auflegten, sei nun wieder Zeit für eine Sonderanstrengung, diesmal Europa für Europa. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb in einem Beitrag in der Welt am Sonntag von der Notwendigkeit eines "Marshall-Plans für Europa." Dafür müsse der EU-Haushalt angepasst werden.

Bisher zeigten sich die Gegner gemeinsamer Staatsanleihen höchstens bereit, über einen modifizierten Zugang zum Europäischen Stabilitätsmechanismus zu reden. Der ESM vergibt in der Regel nur Darlehen und knüpft sie an harte Bedingungen. Italien und Spanien aber mögen in der Viruskrise, die sie selbst nicht verschuldet haben, keine Konditionen wie in einer klassischen Schuldenkrise hinnehmen.

Frankreich wiederum hat einen Vorschlag aufgebracht, der wie ein Kompromiss anmutet und seinen Präsidenten Emmanuel Macron in die Rolle eines "Züngleins an der Waage" bringt, wie es der Corriere della Sera anmerkt: Um die Falken zu beruhigen, die sich vor einer schleichenden Einführung von dauerhaften Eurobonds fürchten, soll der Fonds für die Überwindung der Rezession klar als einmalig deklariert und mit Fristen versehen werden. Die Italiener und die Spanier wären einverstanden. Die Frage ist dann aber, wie üppig dieser Fonds ausgestattet wäre: In Rom hält man tausend Milliarden Euro für einen angemessenen Betrag.

Derweil bestätigte sich in den zwei Ländern der Trend zu einer Stabilisierung der Zahlen, auf hohem Niveau. In Spanien stieg die Zahl der Toten am Sonntag um 674 und damit etwas weniger stark als in den zehn Tagen davor; insgesamt sind dort bisher 12 418 Menschen an dem Virus gestorben. In Italien kamen am Sonntag 525 weitere Opfer hinzu, insgesamt sind es nun 15 887.

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SZ vom 06.04.2020
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