Süddeutsche Zeitung

Organisierte Kriminalität:Seehofer sagt Clans den Kampf an

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Von Boris Herrmann, Berlin

Vor dem Berliner Landgericht müssen sich seit wenigen Tagen drei Männer verantworten, die in einer filmreifen Aktion versucht hatten, einen Geldtransporter in der Nähe des Alexanderplatzes auszurauben. Sie sollen den mit sieben Mil-lionen Euro beladenen Lieferwagen mit ihren Autos ausgebremst und eingekeilt haben, danach stemmten sie laut Anklage mit schwerem Werkzeug die Hecktür auf. Auf der Flucht lieferten sich die Banditen eine wilde Verfolgungsjagd mit der Polizei, sie sollen dabei auch einen Streifenwagen beschossen haben, um ihn abzuschütteln. Es kam zu mehreren Unfällen von der Sorte, bei der man in Actionfilmen Stuntmen einsetzen würde. Aber das hier war nicht Hollywood, sondern ein ganz normaler Freitag im Zentrum von Berlin.

Alle drei Tatverdächtigen stammen nach Medienberichten aus dem Umfeld des sogenannten Remmo-Clans. Mitgliedern der arabischstämmigen Großfamilie, die zu den berüchtigten Verbrechersyndikaten der Hauptstadt gehört, werden auch weitere spektakuläre Überfälle zur Last gelegt, darunter der Diebstahl der Goldmünze "Big Maple Leaf" aus dem Bode-Museum oder der Millionenraub aus einer Sparkasse in Berlin-Mariendorf.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat der Clankriminalität nun ganz offiziell den Kampf angesagt. "Wir vertreten inzwischen einen Null-Toleranz-Ansatz", sagte er am Dienstag in Berlin. Nicht unwesentlich ist in diesem Zusammenhang das Wort: inzwischen. Dass der Innenminister nun mit Hochdruck gegen solche Clanstrukturen vorgehen will, folgt ja auch der weit verbreiteten Ansicht, der Bund sowie die nationalen Sicherheitsbehörden hätten hier ein offensichtliches Problem jahrelang verschlafen. In Städten wie Berlin oder Essen haben viele Menschen das Gefühl, ganze Straßenzüge befänden sich im Griff der arabischstämmigen Unterwelt.

Die Clans stellen ihre Missachtung des Rechtsstaates regelrecht zur Schau

Eine Frage, die sich durchaus auch Seehofer zu stellen scheint, ist aber: Wie viel ist davon Gefühl und wie viel Wirklichkeit? Aus dem sogenannten Bundeslagebild, das Seehofer am Dienstag gemeinsam mit Holger Münch, dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), vorstellte, ist herauszulesen, dass die Clankriminalität im Bezug auf die Gesamtzahl der Straftaten im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK) eher einen kleinen Teil darstellt. Im Jahr 2018 wurden in Bund und Ländern 45 Ermittlungsverfahren "kriminellen Mitgliedern ethnisch abgeschotteter Subkulturen" (so die Clankriminalität im Behördendeutsch) zugeordnet. Das entspricht gut acht Prozent aller OK-Verfahren. Zu einem besonders dringenden Problem wird die Clankriminalität vor allem durch die Art der Verbrechen, durch die damit einhergehende Prahlerei, die demonstrativ zur Schau gestellte Missachtung des Rechtsstaates. Es ist für das Sicherheitsgefühl vieler Leuten eben ein Unterschied, ob jemand heimlich eine Bank ausraubt oder mitten in der Hauptstadt einen Geldtransporter zerlegt und wild um sich schießt.

Seehofer lässt nun unmissverständlich wissen: "Kriminelle Parallelgesellschaft darf es in unserem Land nicht geben." Aus diesem Satz klingt der innenpolitische Hardliner heraus, als der er bis eben noch bekannt war. Er will sich an dieser Stelle definitiv keine Untätigkeit vorwerfen lassen. Unüberhörbar ist aber auch: Er will das Problem nicht dramatisieren oder gar populistisch ausschlachten. Das ist eine bislang nicht ganz so bekannte Seite von Horst Seehofer. Möglicherweise dient hier auch die erstaunliche ökologische und humanistische Kehrtwende seines Parteichefs Markus Söder als Vorbild. Seehofer sitzt lässig und gut gelaunt auf seinem Drehstuhl, er lobt Angela Merkel für ihren meisterhaften Beitrag zum Klimapaket und fragt sich, wie überhaupt jemand darüber diskutieren kann, dass er sich jetzt für die Aufnahme von Bootsflüchtlingen einsetzt. Zur Clankriminalität sagt er unter anderem: "Wir müssen in keinem Bereich der Sicherheitsarchitektur etwas ändern."

Im Juni beschlossen Bund und Länder eine Art Anti-Clan-Plan

Ein nicht ganz unwesentliches Detail hat er allerdings schon geändert. Einzelne Bundesländer, die besonders betroffen sind, wie Nordrhein-Westfalen und Berlin, gehen seit einiger Zeit verstärkt gegen die Clankriminalität von. NRW-Innenminister Herbert Reul und der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) lieferten sich zuletzt einen regelrechten Wettlauf darum, wer schneller und entschiedener gegen die kriminellen Clans in seinem Land vorgeht. Jetzt macht auch Seehofer mit.

Auf sein Betreiben hin sollen Bund und Länder künftig enger zusammenarbeiten im Kampf gegen Clankriminalität. Dafür wurde bei der Innenministerkonferenz im Juni - auf Initiative Seehofers, wie er betont - eine Art Anti-Clan-Plan mit dem Kürzel "BLICK" beschlossen. Die Federführung übernimmt das BKA. Dort gibt es jetzt auch eine eigene Abteilung für Clankriminalität, die allerdings noch damit beschäftigt ist, sich einen Überblick zu verschaffen. In dem jetzt vorgestellten Bundeslagebericht taucht das Thema überhaupt erstmals in einem gesonderten Kapitel auf. Bislang gab es zu den Clanstrukturen nicht einmal eine bundesweite Statistik. "Das ist noch kein Beruhigungsmittel", sagte Seehofer. Besonders beunruhigt wirkte er dabei nicht.

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SZ vom 25.09.2019
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