Süddeutsche Zeitung

Volksentscheid in der Schweiz:Helvetisches Outsourcing

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Am Sonntag stimmen die Schweizer über ein Gesetz ab, das es privaten Anbietern erlauben soll, elektronische Identitätsnachweise auszugeben. Datenschützer laufen Sturm.

Von Isabel Pfaff, Bern

Die Schweiz ist ein Land, das keine Angst vor elektronischen Innovationen hat. Hier begann man schon 2004, E-Voting-Verfahren zu testen. Auch wenn der Testbetrieb im Moment ausgesetzt ist, soll die digitale Stimmabgabe langfristig etabliert werden - schon allein weil das Land seine Bürger so häufig zur Urne ruft. Es gibt auch einen elektronischen Impfpass, E-Lösungen für die Zollabwicklung und in vielen Schweizer Gemeinden kann man sich bei einem Umzug elektronisch ab- und anmelden. Jetzt wollen die Schweizer Regierung und die Mehrheit des Parlaments noch einen Schritt weiter gehen: Per Gesetz soll die E-ID eingeführt werden, ein Identitätsnachweis für Behördengänge und Geschäfte im Internet.

Gegen das bereits im Herbst 2019 verabschiedete Gesetz haben Datenschützer, Gewerkschaften und Vertreter vor allem linker und grüner Parteien das Referendum ergriffen. Sie wehren sich nicht grundsätzlich gegen eine E-Identität, die auch sie im digitalen Zeitalter für nötig halten. Sie kritisieren aber, dass der Staat die Ausstellung einer solchen ID privaten Firmen überlassen will. Am kommenden Sonntag stimmen die Stimmberechtigten nun darüber ab, ob das Gesetz kommt oder nicht.

Tatsächlich ist die gesetzliche Konstruktion speziell. Zwar gibt es in vielen anderen europäischen Ländern auch elektronische Pässe oder Identitätsnachweise, etwa den elektronischen Personalausweis in Deutschland. Doch fast überall sind dies staatliche Angebote, mindestens als Alternative zu privaten Anbietern. In der Schweiz wollen sich die Bundesbehörden dagegen zurückhalten. Laut Gesetz sollen sie lediglich die Anbieter einer E-ID zertifizieren und überwachen sowie die nötigen Personendaten bereitstellen. Und diese Anbieter können Kantone und Gemeinden sein, aber eben auch private Unternehmen.

Stellt dann eine Bürgerin bei einem dieser Anbieter einen Antrag auf eine E-ID, leitet der die Anfrage an das Bundesamt für Polizei weiter. Dieses überprüft und bestätigt die Identität der Person, woraufhin der Anbieter die E-ID ausstellt. Wie genau diese aussieht, legt das Gesetz nicht fest. Technische Träger könnten etwa Smartphones, Bankkarten oder Abokarten des öffentlichen Verkehrs sein. Mit dem digitalen Ausweis können Bürgerinnen und Bürger dann staatliche oder private Dienstleistungen im Netz beziehen, für die man früher persönlich erscheinen oder sich anderweitig ausweisen musste: ein Bankkonto eröffnen zum Beispiel oder einen Strafregisterauszug bestellen.

Wirtschaftsverbände finden das Modell gut

Hintergrund dieses Gesetzeskonstrukts ist die Annahme der Schweizer Regierung, dass Private eher die Innovations- und die Entwicklungskraft aufbringen, die für die Herausgabe einer solchen E-ID nötig sind. Vor allem die bürgerlich-konservativen Parteien unterstützen den Bundesrat in dieser Haltung, daneben zählen auch Wirtschaftsverbände sowie die meisten Kantone und Gemeinden zu den Befürwortern des Gesetzes. "Es ist ein bewährtes Schweizer Modell", schreiben sie auf ihrer Kampagnen-Webseite, "in dem der Staat als Garant auftritt, aber innovative und kundenfreundliche Anwendungen von Privaten, Kantonen und Gemeinden zulässt."

Die Gegner rund um die Datenschutzorganisation "Digitale Gesellschaft" sehen das anders. Für sie ist der Identitätsnachweis einer Person eine staatlich-hoheitliche Aufgabe, egal ob im virtuellen oder im analogen Raum. So etwas gehöre unter demokratische Kontrolle und dürfe nicht privatisiert werden. Das Nein-Lager verweist in diesem Zusammenhang auf die enormen Datenmengen, die die Anbieter einer E-ID über die Nutzerinnen und Nutzer sammeln würden. Die Weitergabe der Daten an Dritte ist laut Gesetz zwar untersagt, doch dem Bund komme in diesem Konstrukt eine viel zu schwache Kontrollfunktion zu, argumentieren die Gegner.

Unbehagen bereitet vielen Kritikern außerdem, dass mit der Swiss Sign Group bereits ein mächtiges Konsortium aus 20 großen Privatunternehmen und staatsnahen Betrieben bereitsteht, das eine E-ID herausgeben will. Zu der Gruppe gehören unter anderem die Großbanken UBS und Credit Suisse, die Schweizer Bahn, die Post, die Swisscom, außerdem Versicherungen und Krankenkassen. Während die Schweizer Regierung den produktiven Wettbewerb betont, den das E-ID-Gesetz unter verschiedenen Anbietern ermöglichen würde, sieht es eher danach aus, als habe sich mit der Swiss Sign Group schon ein möglicher Monopolist in Stellung gebracht.

Den E-ID-Gegnern ist es offenbar gelungen, ihr Unbehagen gegenüber dem geplanten Gesetz in weiten Teilen der Stimmbevölkerung zu verankern: Bei den jüngsten Umfragen zeichnete sich mit 54 Prozent Nein-Stimmen eine Ablehnung der Vorlage ab.

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