Süddeutsche Zeitung

Einrichtungsbezogene Impfpflicht:"Es ist ein Pflaster, mehr nicht"

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Die frühere Grünen-Abgeordnete Elisabeth Scharfenberg arbeitet heute für den Pflegekonzern Korian. Was hält sie von der Impfpflicht im Gesundheitswesen - und was vom Gewinnstreben in der Pflege?

Interview von Rainer Stadler

Vom morgigen Dienstag an gilt in den meisten Bundesländern eine Impfpflicht für Mitarbeiter von Pflegeheimen und Kliniken. Zuvor war darüber monatelang gestritten worden. Auch Elisabeth Scharfenberg, seit gut zwei Jahren in Diensten von Europas größtem Pflegekonzern, ist unzufrieden mit der Regelung.

SZ: An der Impfpflicht für medizinisches und pflegendes Personal gibt es viel Kritik. Zu Recht?

Elisabeth Scharfenberg: Man setzt damit ein falsches Zeichen. Warum eine Berufsgruppe ins Visier nehmen, wenn es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt? Ich befürworte eine allgemeine Impfpflicht, gern auch zeitlich begrenzt, etwa auf zwei Jahre.

Die Impfpflicht betrifft doch nicht nur Pflegekräfte, sondern alle Beschäftigten in den Einrichtungen.

Es ist richtig, dass auch Kräfte in Hauswirtschaft, Verwaltung und Technik miteinbezogen sind. Aber was ist mit den Angehörigen und Besuchern? Generell findet die Ansteckung an vielen Orten statt, nicht nur in den Einrichtungen.

Für eine allgemeine Impfpflicht zeichnet sich hier keine politische Mehrheit ab. In Österreich wurde sie zwar eingeführt, aber gleich wieder ausgesetzt.

Ich hätte nicht erwartet, dass man so schnell wieder zurückrudert. Noch mehr irritiert mich, wie derzeit bei uns gelockert wird. Vor einem Jahr haben wir in meinem Landkreis heftig diskutiert, was mit den Schulen passiert, wenn die Inzidenz den Wert 50 übersteigt - aus heutiger Sicht eine putzige Debatte.

Wie ließe sich eine generelle Impfpflicht rechtfertigen, wenn die Impfung nachgewiesenermaßen nicht vor Infektionen mit der Omikron-Variante schützt?

Aber die Impfung mildert einen möglichen Krankheitsverlauf ab. Und auch, wenn wir jetzt Omikron haben - was ist in vier Wochen? Ich weiß ja, dass die Politik sehr oft um den kleinsten gemeinsamen Nenner ringt. Aber um die Pandemie ernsthaft zu bekämpfen, muss sie größer denken.

Auch Wissenschaftler halten Omikron für weniger gefährlich und die aktuellen hohen Inzidenzen deshalb für vertretbar.

Vielleicht stimmt das. Aber es ist ein riskantes Spiel, das erhebliche Schäden hinterlässt. Vor allem bei alten, vulnerablen Menschen mit Vorerkrankungen.

Spricht nicht genau das für eine Impfpflicht in Einrichtungen, wo viele dieser Menschen leben?

So könnte man argumentieren. Fraglich bleibt, was eine Impfpflicht nützt, die am Ende nur auf dem Papier steht. Die Gesundheitsämter sind ja nicht in der Lage, ihre Einhaltung zu kontrollieren. Und in den Einrichtungen kommt es zu Verwerfungen: Kolleginnen und Kollegen werden freigestellt, langjährige Beschäftigte entlassen. Das ist ein schwerer Einschnitt im Leben dieser Menschen.

Gilt das nicht genauso für Pflegebedürftige und Patienten, die sich infizieren, weil sie mit ungeimpftem Personal in Kontakt kommen?

Absolut. Ich hätte auch ein komisches Gefühl, wenn ich in einer Klinik liege - und die Pflegekraft, die mich versorgt, ist nicht geimpft. Es ist schon richtig, die vulnerablen Gruppen müssen geschützt werden, und da kann die einrichtungsbezogene Impfpflicht vielleicht der Anfang sein. Aber es ist eben ein Pflaster, mehr nicht.

Wie ist die Impfquote beim europaweiten Pflege-Marktführer Korian?

Unter den Pflegekräften liegt sie bei 90 Prozent. Genauere einrichtungsbezogene Zahlen liegen mir nicht vor, da ich als Leiterin der Stiftung nicht in das operative Geschäft involviert bin.

Zuletzt wurden mehrere Skandale in privat betriebenen Heimen publik: völlig verwahrloste Bewohner und skandalöse Arbeitsbedingungen, in Schliersee , in Augsburg, aber auch in Frankreich. Wie sehen Sie das? Auch Korian ist ein privates Unternehmen.

Schon während meiner politischen Zeit im Bundestag habe ich die Dinge nie schwarz weiß gesehen. Nach dem Motto: Privat ist schlecht, kommunale Anbieter oder Wohlfahrtsverbände sind gut. Wenn sich die Privaten wirklich so schlecht um Bewohner kümmern würden, wären ihre Einrichtungen leer. Dasselbe gilt für das Personal: Es wird ja niemand gezwungen, dort zu arbeiten. Wir brauchen die Privaten, sie erbringen etwas mehr als die Hälfte der Pflege in Deutschland.

Wie erklären Sie sich diese schlimmen Zustände?

Für mich ist das vor allem eine Frage der Führung. Es braucht eine ehrliche und offene Fehlerkultur, dass Mitarbeiter keine Repressalien befürchten müssen, wenn sie Missstände benennen.

Gibt es die bei Korian?

Korian hat neben umfangreichen Audits auch ein eigenes Whistleblower-System. Die Geschäftsführung möchte wissen, wenn etwas irgendwo nicht stimmt. Das ist eine offene Kultur. Aber ich würde das nicht daran festmachen, ob auf dem Schild am Eingang der Einrichtung Korian, Diakonie oder Caritas steht. Entscheidend ist: Wie geht die Leitung der jeweiligen Einrichtung damit um? Ist sie offen für Gespräche? Gute Pflege hat immer mit gutem Führungspersonal zu tun.

Steckt nicht die zwingende wirtschaftliche Logik von weniger Kosten und mehr Rendite dahinter? Also spart man an Personal, Essen und Hygiene.

Ich finde es nicht verwerflich, mit Pflege Geld zu verdienen. Auch ein Arzt oder ein Badinstallateur verdienen Geld. Problematisch wird es, wenn ein Unternehmen nichts reinvestiert, insbesondere in die Führung und Fortbildung von Mitarbeitern. Das ist bei Korian anders. Der Konzern hat sogar eine Stiftung, die "Korian-Stiftung für Pflege und würdevolles Altern" ins Leben gerufen, die eigenständig und unabhängig arbeitet und mit Projekten die Pflege insgesamt voranbringen will.

Experten betonen, es gebe trotz Pflegenotstand auch hervorragende Einrichtungen. Warum ist so wenig über diese Leuchttürme zu hören?

In der Pflege herrscht eine große Konkurrenz. Niemand spricht gern über andere, im Guten wie im Schlechten. Ich bin sicher, dass innerhalb der Branche die Leuchttürme bekannt sind. Vieles dringt jedoch nicht nach außen. Das muss sich ändern. In der Pflege wird nicht nur viel Großartiges geleistet, sondern der Großteil der Bewohner und Bewohnerinnen sind auch sehr zufrieden dort.

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