Impfpflicht im Gesundheitswesen:Widerstand in den eigenen Reihen

Impfpflicht im Gesundheitswesen: Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung in Düsseldorf.

Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung in Düsseldorf.

(Foto: Christoph Hardt/imago images)

Lange vor Bayerns Ministerpräsident Söder haben sich die Gewerkschaft Verdi und mehrere Pflegeverbände gegen die Teilimpfpflicht ausgesprochen. Das heißt jedoch nicht, dass die Branche dabei an einem Strang zieht.

Von Rainer Stadler

Die Pflegebranche ist ein bunter Chor, vertreten durch eine Vielzahl von Verbänden, weit davon entfernt, mit einer Stimme zu sprechen. Diese Erfahrung machte vor wenigen Tagen Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, als er ankündigte, den Vollzug der von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Impfpflicht im Gesundheitswesen auszusetzen. Es hagelte Kritik - auch aus der Pflege. Dabei hatte Klaus Holetschek, der Gesundheitsminister im Kabinett Söder, zuvor die Meinung mehrerer Verbände zu dem Thema eingeholt.

Befragt wurde zum Beispiel Georg Sigl-Lehner, Präsident der Vereinigung der Pflegenden in Bayern. Er sagt, schon im November sei absehbar gewesen, dass sich die Impfpflicht im Gesundheitswesen nicht wie geplant umsetzen lässt. "Ansonsten müssten die Einrichtungen zehn bis 15 Prozent der Beschäftigten freistellen." Damit sei die Versorgung in Gefahr. Und zwar für Patienten in Kliniken und Bewohner von Pflegeheimen wie für Menschen, die in ihren eigenen vier Wänden von ambulanten Diensten betreut werden.

Sigl-Lehner argumentiert, die Einrichtungen spielten beim derzeitigen Infektionsgeschehen keine große Rolle. "Natürlich haben wir ein Schutzbedürfnis zu erfüllen, das tun wir doch längst." Hätte sich die Gesamtbevölkerung im selben Maße impfen lassen wie die Beschäftigten in den Heimen und Krankenhäusern - Sigl-Lehner schätzt die Immunisierungsquote dort auf etwa 90 Prozent -, "dann wäre uns schon die vierte Corona-Welle erspart geblieben".

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Der Pflegerat trägt nur eine "einrichtungsbezogene" Pflicht mit

Ähnlich argumentiert Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats. Die Impfung sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht allein auf die Pflegenden abgewälzt werden dürfe. Als sie Anfang November in der Talkshow "Anne Will" saß, wehrte sie sich mit Händen und Füßen gegen eine berufsbezogene Impfpflicht nur für Pflegekräfte. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die von Mitte März an gelten soll und auch Physiotherapeuten, Reinigungskräfte oder Angestellte der Hauswirtschaft in den Einrichtungen einschließt, trage der Pflegerat mit. Allerdings nur dort, sagt Vogler, "wo pflegerische Versorgung aufrechterhalten werden kann". Die Vergangenheit habe gezeigt, fügt sie hinzu, dass auch Ungeimpfte "im Rahmen der Hygienemaßnahmen Pflegebedürftige sicher versorgen" könnten. Ihr Bekenntnis zur Impfpflicht wirkt ähnlich glaubwürdig wie das der bayerischen Staatsregierung: Wenige Tage nach Söders Ankündigung, geltendes Recht zu unterlaufen, betonte sie, dass Bayern "unverändert zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht" stehe.

Beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), der mit mehreren anderen Pflegeverbänden unter dem Dach des Deutschen Pflegerats vereint ist, sieht man die Sache anders als Präsidentin Vogler. Die Impfpflicht sei zwar ein zusätzlicher Aufwand für die Einrichtungen, sagt Natalie Sharifzadeh, Geschäftsführerin des DBfK Nordost in Berlin. Dass Söder nun, wenige Wochen vor Einführung der Impfpflicht, so tue, als stünde nun die Versorgungssicherheit auf dem Spiel, sei jedoch befremdlich. "Wir predigen seit Jahren, dass es zu wenige Beschäftigte in den Einrichtungen gibt." Dennoch hält sie das Gesetz für richtig. Der Vorstellung, dass weiter Ungeimpfte am Krankenbett stehen oder Seniorinnen und Senioren im Pflegeheim den Trinkbecher halten, kann sie nichts abgewinnen. Auch das gefährde die Versorgungssicherheit, sagt Sharifzadeh und spielt auf das Risiko für die Pflegebedürftigen an.

Claudia Moll, gelernte Altenpflegerin und seit Kurzem Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, treibt dieser Gedanke ebenso um. Sie würde es "auch nicht wollen, dass zum Beispiel meine Mutter im Fall der Fälle von ungeimpftem Personal versorgt werden würde", teilt sie auf Anfrage mit. Darüber hinaus erwarte sie nicht, dass es durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht vermehrt zu Versorgungsengpässen komme. Die Impfquote unter Pflegekräften sei hoch "und ich bin sicher, dass sich noch mehr impfen werden". Schließlich hätten sie in den Einrichtungen erlebt, dass die Impfung wirkt: Die Einrichtungen verzeichneten weit weniger "schlimme coronabedingte Sterbefälle" als in früheren Wellen. Die Impfpflicht in den Pflegeeinrichtungen müsse umgesetzt werden, fordert Moll, "ohne Wenn und Aber". Alle Beteiligten seien aufgefordert, "hier an einem Strang zu ziehen, damit wir aus der Pandemie endlich herauskommen".

"Wir tun doch ohnehin schon alles. Und um unsere Belange kümmert sich niemand."

Ob die SPD-Politikerin mit ihrem Appell auch Sylvia Bühler erreicht, die den Fachbereich Gesundheit bei Verdi leitet? Die Gewerkschaft Verdi gab schon zu Beginn der Diskussion zu erkennen, dass sie die einrichtungsbezogene Impfpflicht kritisch sieht. Sie habe sich sofort mit der Basis abgestimmt, erklärt Verdi-Vorständin Bühler, und dabei von heftigen Debatten in den Betrieben erfahren. Auch geimpfte Beschäftigte hätten "sich beruflich angegriffen" gefühlt durch die ausschließlich einrichtungsbezogene Impfpflicht. "Sie fragen: Warum nur wir? Wir tun doch ohnehin schon alles. Und um unsere Belange kümmert sich niemand."

Das Gesetz sei nun einmal nicht zu Ende gedacht. Es gebe Regionen wie in Sachsen oder Bayern, wo die Impfquote "hundsmiserabel" sei. Die Pflegekräfte vor Ort könnten sich von der Skepsis, die dort verbreitet sei, nicht einfach freimachen. Natürlich müssten pflegebedürftige Menschen geschützt werden. "Es braucht für Pflege und Versorgung aber auch das notwenige Personal, und die Personaldecke ist eh schon viel zu dünn. Wir können uns auch nicht leisten, weitere Pflegekräfte zu verlieren", sagt Bühler. "Es ist ein Dilemma."

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