Süddeutsche Zeitung

Sanktionen der westlichen Staaten gegen Iran:Eine Botschaft, die Teheran verstehen wird

Lesezeit: 3 min

Die Erstürmung der britischen Botschaft in Teheran zeigt, wie sehr Irans Macht erodiert ist. Mit den Öl-Milliarden subventioniert das Regime die ärmeren Schichten, beschafft sich über Umwege alle nötigen Güter - und sichert so das eigene Überleben. Wenn Europa Verbindungen zur iranischen Zentralbank kappt, könnte dies die "virtuelle Atommacht" beeindrucken. Von allen schlechten Optionen ist diese Strategie die beste.

Paul-Anton Krüger

Revolutionen leben von ihren Mythen, und revolutionäre Regime nicht weniger. Wer Mythen beschwört, der fordert Gefolgschaft ein - und verschleiert auch sein eigenes Versagen. In Iran hat diese Taktik Tradition seit den frühen Tagen der Islamischen Republik. Dennoch fällt die Erstürmung der britischen Botschaft durch "revolutionäre Studenten", ermutigt von den vorangegangenen Tiraden des Obersten Führers Ali Chamenei, aus dem Muster des üblichen Propagandageheuls. Der Vorfall zeugt vielmehr davon, dass sich das Regime entgegen all seiner Rhetorik in die Enge getrieben sieht. Sichtbar ist nun, wie das System kriselt und ausgehöhlt ist.

Irans Macht in der Region erodiert. Die USA haben in Saddam Hussein zwar Teherans gefährlichsten Feind erledigt und ziehen aus Irak ab, bald auch aus Afghanistan. Mancher amerikafreundliche Potentat ist schon gestürzt. Aber die in Teheran bejubelten Revolutionäre des arabischen Frühlings wollen nichts von Chomeinis Modell des Gottesstaates wissen. Der wichtigste Verbündete, Syriens Diktator Baschar al-Assad, kann sich nur noch mit Brutalität am eigenen Volk an der Macht halten. Die arabischen Golfstaaten zeigen sich entschlossen, Iran einzudämmen, und lassen sich von Washington dafür aufrüsten.

Diese wachsende Isolation ließe sich für das Regime aber noch ertragen, ebenso wie die UN-Sanktionen. Solange Milliarden Öl-Dollars allein die Staatskasse mehr als zur Hälfte füllen, kann sich Iran in einer globalisierten Welt alles kaufen - auch wenn dafür überhöhte Preise zu zahlen sind. Zugleich kann das Regime mit massiven Subventionen die ärmeren Schichten bei Laune halten und ein Patronage-System finanzieren. So wird in allen ideologischen Gruppierungen Loyalität geschaffen, die Nutznießer sitzen überall im Machtgefüge.

"Virtuelle Atommacht" Iran

Dieser Mechanismus ist für den Bestand des Regimes überlebenswichtig. Und exakt diesen Mechanismus hat die Regierung in London ins Visier genommen, als sie alle Verbindungen zum iranischen Finanzsektor kappte, auch jene zur Zentralbank. Iran den Zugang zu den internationalen Finanzmärkten zu verwehren und seine Öl- und Gasexporte mit Sanktionen zu belegen - das sind vermutlich die einzigen Mittel, die das Regime treffen und vielleicht noch beeindrucken können. Europa kommt dabei die Schlüsselrolle zu, denn hier hat Iran anders als in den USA erhebliche wirtschaftliche Interessen. China, Russland und andere Staaten könnten die entstehende Lücke nicht nahtlos füllen.

Derart einschneidende Sanktionen sind jetzt nötig im Atomstreit mit Iran. Der Streit steht im Kern des Konflikts nicht nur mit dem Westen, sondern auch mit regionalen Rivalen und der Weltgemeinschaft. Der jüngste Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA hat keine Zweifel gelassen, dass Irans Nuklearprogramm militärische Teile hat. Das heißt nicht, dass derzeit Sprengköpfe gebaut werden. Iran verschafft sich aber alles, um "virtuelle Atommacht" zu werden, wie es der frühere IAEA-Chef Mohamed ElBaradei formuliert hat. Das Wissen zum Bau der Bombe besitzt das Regime bereits, ebenso Trägerraketen - durch großzügige Hilfe aus Pakistan, Nordkorea und eines Experten aus einer sowjetischen Atomwaffenschmiede.

Hochangereichertes Uran, die zweite Voraussetzung für den Bombenbau, hat man in Iran bislang nicht gefunden, aber das Land stockt seinen Vorrat mit geringerem Anreicherungsgrad auf. So wird die Zeit verkürzt, die man am Ende noch zur Herstellung eines Sprengkopfs benötigt. Nun reicht eine politische Entscheidung des Regimes, den Befehl zum Bau der Waffe zu geben. Technische Hindernisse gibt es nicht mehr. Als letzte Option galt bisher ein Angriff auf die Anreicherungsanlage in Natans. Dem beugt Iran nun vor und verlegt Uran wie Zentrifugen in einen Stollen bei Ghom, der im Wortsinn bombensicher ist.

Die beste aller schlechten Optionen

Nach all diesen Erkenntnissen ist klar: So kann es nicht weitergehen. Der UN-Sicherheitsrat, die IAEA und auch die westlichen Staaten würden ihre Glaubwürdigkeit vollends einbüßen. Der Atomwaffensperrvertrag, die einzige Barriere gegen die weitere Verbreitung der Bombe, wäre an dem Tag wertlos, da Iran einen Sprengkopf testet. Ein nuklearer Rüstungswettlauf in der Region wäre die wahrscheinliche Folge.

Hoffnungen auf einen umfassenden Interessenausgleich, den grand bargain zwischen Iran und dem Westen sind fürs Erste dahin: US-Präsident Barack Obama hat angesichts der Wahl 2012 kaum Spielraum. Irans Regime ist durch den inneren Machtkampf paralysiert - er wird sich zur Parlamentswahl im März und der Präsidentenwahl im Jahr darauf weiter zuspitzen.

Deswegen geht es nun vor allem darum, ein Dilemma zu vermeiden: die Wahl zwischen einer iranischen Bombe und der Bombardierung Irans. Entschiedene Sanktionen der gesamten EU sind eine der letzten Botschaften, die Teheran noch verstehen wird. Zudem sollten Deutschland und die anderen Europäer ihren Einfluss in Moskau und Peking geltend machen. Gute Aussichten auf Erfolg bietet zwar auch diese Strategie nicht. Aber von allen schlechten Optionen ist sie die beste.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1224431
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.12.2011
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.