Süddeutsche Zeitung

Russlands Raketendrohung:Rückkehr der atomaren Abschreckung

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Von Markus C. Schulte von Drach

Die Welt schien unlängst auf einem guten Weg zu sein, soweit es um Atomwaffen geht. Auch wenn die Zahl der Atomsprengköpfe bis heute noch immer ausreicht, um unseren Planeten für Menschen gleich mehrmals komplett unbewohnbar zu machen, gab es Bemühungen, das Overkill-Potenzial der Streitkräfte abzubauen.

Erst vor fünf Jahren unterzeichneten US-Präsident Barack Obama und der damalige russische Staatschef Dmitrij Medwedjew in Prag ein neues Abkommen zur Begrenzung der Atomwaffen. Ein Jahr zuvor hatte Obama - ebenfalls in der tschechischen Hauptstadt - der Welt im Namen der USA das Versprechen gegeben, "eine Welt ohne Atomwaffen schaffen zu wollen".

Durch den Krieg in der Ukraine, die Rolle Russlands und die Reaktionen des Westens hat sich die Bedeutung der Atomwaffen jedoch wieder verändert.

Besonders deutlich wird das durch die Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, mehr als 40 hochmoderne Interkontinentalraketen für die Atomstreitkräfte seines Landes anzuschaffen. Putin reagierte damit insbesondere auf die Ankündigung der Nato, ihre Präsenz in den östlichen Bündnisgebieten zu erhöhen. Wie Putin der Nachrichtenagentur RIA Nowosti zufolge sagte, sollen die Raketen fähig sein, "alle, selbst die technisch am weitesten entwickelten Luftabwehrsysteme zu durchbrechen".

Erst vor wenigen Tagen hat das Stockholmer internationale Friedensforschungsinstitut (Sipri) in seinem Jahresbericht die neuesten Zahlen zu den atomaren Sprengköpfen weltweit veröffentlicht. Demnach ist deren Zahl kontinuierlich gesunken. Über 8000 Atomsprengköpfe verfügte Russland 2014, die USA besaßen 7300. Dieses Jahr sind es noch 7500 respektive 7260.

Beide Länder verfolgen also offenbar weiterhin das im " New START"-Abkommen von 2010 vereinbarte Ziel, die Zahl der strategischen Waffen zu reduzieren. Seit Jahren aber investieren die USA und Russland Milliarden in die Modernisierung der Systeme, die die Atomsprengköpfe zum Ziel bringen sollen.

Für den Sipri-Experten Shannon Kile befindet sich die Welt seit einigen Jahren in einer neuen, vierten Phase der Atomwaffenpolitik. Als erste Phase betrachtet er die Zeit nach der Entwicklung der Waffen in den 40er Jahren, als Streitkräfte weltweit Atomsprengköpfe entwickelten. Die zweite Phase war der Kalte Krieg, in dem sich Ost und West mit einer riesigen Zahl von Atomwaffen gegenseitig bedrohten. Nach dem Ende der Sowjetunion verloren die strategischen Waffen in der dritten Phase an Bedeutung - und ein US-Präsident konnte von einer Welt ganz ohne Atombomben träumen. Das hat sich geändert.

Für den Jahresbericht der Stockholmer Friedensforscher kamen die russischen Pläne, sich die neuen Interkontinentalraketen zuzulegen, zu spät. Aber "die Ankündigung von Präsident Putin bestätigt, dass Atomwaffen als Abschreckungsmittel für die Außenpolitik wieder an Bedeutung gewinnen", sagte Sipri-Sprecherin Stephanie Blenckner der SZ.

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