Süddeutsche Zeitung

Mordvorwurf gegen russischen Senator:Vom Parlament direkt ins Gefängnis

Lesezeit: 2 min

Von Paul Katzenberger, Moskau

Als Rauf Araschukow am heutigen Mittwochmorgen zur Sitzung des russischen Föderationsrates erschien, konnte er sich noch frei und geradezu unantastbar fühlen. Doch das sollte sich an diesem Tag für ihn überraschend schnell ändern. Denn noch während das Oberhaus des russischen Parlamentes tagte, wurde die Sitzung für die Öffentlichkeit plötzlich geschlossen, und die Wachmannschaften des Hauses riegelten den Sitzungssaal ab - dann wurde es für ihn sehr ungemütlich.

Wie die russische Nachrichtenagentur Tass meldete, erschien Generalstaatsanwalt Juri Tschaika und sprach zu den Abgeordneten. Was Tschaika zu sagen hatte, war für Araschukow so unerfreulich, dass er noch schnell versuchte, den Saal zu verlassen. Doch er wurde von der Vorsitzenden des Föderationsrates, Walentina Matwijenko, zum Bleiben aufgefordert. Dann stimmten die Senatoren, wie die Abgeordneten des Föderationsrates genannt werden, mehrheitlich für die Aberkennung von Araschukows Immunität. Was folgte, war die Festnahme des Abgeordneten aus der autonomen Republik Karatschai-Tscherkessien. Der Vorwurf gegen ihn lautet auf Mord.

Später bestätigte die zuständige russische Untersuchungskommission, dass Araschukow in Gewahrsam genommen worden sei. Ihm würden zwei Morde aus dem Jahr 2010 sowie weitere Straftaten zur Last gelegt.

"Rauf Araschukow wurde im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens verhaftet", teilte die Untersuchungskommission in einer Stellungnahme mit, in der sie betonte, dass die Festnahme erst erfolgt sei, nachdem die Mitglieder des Föderationsrates Araschukows Immunität mehrheitlich aberkannt hätten.

Weiterhin teilte die Ermittlungsbehörde mit, dass er des Mordes an dem tscherkessischen Aktivisten Aslan Schukow bezichtigt werde, der im März 2010 in Tscherkessk, der Hauptstadt Karatschai-Tscherkessiens im Nordkaukasus, erschossen worden war. Zudem werde Araschukow beschuldigt, den Mord an dem tscherkessischen Politiker Fral Schebschuchow im Mai 2010 veranlasst zu haben.

Erste Vorwürfe im September 2018

Bereits im vergangenen September hatte die russische Handelszeitung RBK auf ihrer Internetseite berichtet, dass ein Verdächtiger im Mordfall Schukow ausgesagt habe, dass Araschukow den Mord an Schukow in Auftrag gegeben habe. Zwei weitere Verdächtige hätten Araschukow bei Verhören zudem beschuldigt, eine Million Rubel (13 300 Euro) für den Mord an Schukow bezahlt zu haben. Für 500 000 Rubel (6850 Euro) habe er Schebschuchow "einschüchtern und zusammenschlagen" lassen wollen.

Araschukow hatte die Vorwürfe über seine Anwälte stets bestritten. Er ist Mitglied von "Einiges Russland", der mitgliederstärksten Partei des Landes, die in der Duma über eine absolute Mehrheit verfügt und Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew stellt. Die Senatoren des Föderationsrates sollen allerdings unabhängig sein, weswegen die Parteien dort keine Fraktionen bilden dürfen. "Einiges Russland" teilte am Mittwoch mit, dass Araschukows Mitgliedschaft so lange ruhen würde, bis die Vorwürfe gegen ihn geklärt seien.

Das Mordopfer Schukow war Mitglied der Jugendorganisation der Tscherkessischen Assoziation (auch Adyghe-Khase genannt), die sich für einen eigenen tscherkessischen Staat einsetzt, während Schebschuchow als Berater des früheren Präsidenten Karatschai-Tscherkessiens tätig war.

Vorwurf weiterer schwerer Straftaten

Ihre Unabhängigkeit wiederherstellen, das versuchen viele Tscherkessen, seit sie diese im Kaukasuskrieg 1864 verloren. Ziel ist es, die Tscherkessen wiederzuvereinen, von denen die große Mehrheit heute in der Diaspora in Staaten des Balkans und des Nahen Ostens lebt. Zudem soll die adygeische Sprache wiederbelebt werden, die auch als Tscherkessisch bezeichnet wird.

Araschukow würden außerdem weitere schwere Straftaten zur Last gelegt, meldeten russische Medien. Tass berichtete, dass ihm die Bildung und Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen werde. Zu seinem Sündenkatalog sollen auch schwere Körperverletzung und Urkundenfälschung gehören, berichtete Ria Novosti unter Berufung auf Föderationsrat-Kreise.

Gleichzeitig wurde bekannt, dass auch Araschukows Vater Raul in Gewahrsam genommen worden sei. Die russische Nachrichtenagentur Interfax teilte mit, Araschukow Senior, der als Berater beim Erdgasunternehmen Gazprom-Meschregiongaz tätig ist, sei in einem Gazprom-Büro in Sankt Petersburg verhaftet worden. Er soll Gas im Wert von 30 Milliarden Rubel (400 Millionen Euro) gestohlen haben. Ria Novosti zitierte außerdem eine anonyme Quelle, der zufolge Vater und Sohn Araschukow verdächtigt würden, einer kriminellen Vereinigung anzugehören, die zehn Milliarden Rubel (135 Millionen Euro) beiseitegeschafft habe.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4309632
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.