Süddeutsche Zeitung

Russische Stadt sucht neues Symbol:Wolgograd will weg vom Stalingrad-Image

Lesezeit: 2 min

Wolgograd, das früher Stalingrad hieß, sucht nach einem neuen offiziellen Symbol. Der Grund: Das Gedenken an den Sieg über die Deutschen interessiert immer weniger Russen - offenbar wiegt die blutige Historie zu schwer.

Frank Nienhuysen, Moskau

"Mutter Heimat ruft", und die Touristen kommen. Die Statue mit dem ungewöhnlichen Namen ist eines der bekanntesten Denkmäler in ganz Russland und ohne Zweifel das Symbol der Stadt Wolgograd. Mit wehendem Haar, ein 33 Meter langes Schwert in den Himmel gereckt, ragt die Frauen-Skulptur insgesamt fast 90 Meter hoch auf dem Mamajew-Hügel der Stadt.

Die kolossale Figur aus Beton wurde 1967 fertiggestellt und erinnert an den Sieg der sowjetischen Streitkräfte über das nationalsozialistische Deutschland. Doch ausgerechnet 70 Jahre nach der Schlacht von Stalingrad, wie Wolgograd bis 1961 hieß, scheint "Mutter Heimat" in ihrer Heimatstadt an Attraktivität eingebüßt zu haben. Denn die Behörden von Wolgograd suchen jetzt nach einem neuen, offiziellen Symbol für die Millionenstadt im Süden Russlands.

Warnung vor dem versuchten Imagewechsel

Per Internet hat die Stadt einen Ideenwettbewerb ausgeschrieben, der noch bis Mitte Dezember läuft. Gesucht wird ein Symbol, das Stadt und Region eint und das Gebiet als Zentrum von Tourismus, Industrie, Sport und Kultur fördern soll. Eine entscheidende Rolle bei der PR-Aktion spielt laut russischen Medien die "Agentur für die Entwicklung des Tourismus". Das Denkmal "Mutter Heimat ruft" würden demnach viele Menschen "mit etwas Schwerem, Tragischem, Traurigen" verbinden, vor allem Touristen aus dem Ausland. Die Statue selber soll zwar nicht verändert werden, aber mit der Suche nach einem neuen Symbol strebt die geschichtsträchtige Stadt offenbar ein moderneres Image an - zu einem heiklen Zeitpunkt.

Anfang Februar nächsten Jahres wird Präsident Wladimir Putin in Wolgograd erwartet, und der Politologe Andrej Mironow sagte der Zeitung Nesawissimaja Gaseta, "der Präsident kommt doch, um an den Jahrestag des Siegs von Stalingrad zu erinnern, und nicht, um Zeit in einem angenehmen Gebiet zu verbringen". Der Blogger Denis Gawrikow schrieb, es sei ihm "unverständlich, welche unangenehmen Assoziationen bei Touristen ein Symbol für den Sieg über den Faschismus auslösen sollten".

Die historischen Gedenkstätten gehören nach wie vor zu den wichtigsten Gründen für einen Besuch der Stadt. Kai-Uwe Dahm, Lehrer an der Deutschen Schule in Moskau, war vor drei Wochen mit einigen Kollegen in Wolgograd. "Das Denkmal Mutter Heimat war für uns ein Muss, und wir waren beeindruckt", sagt er. "Die Geschichte Wolgograds war der einzige Grund für mich, dorthin zu fahren." Dahm bezweifelt deshalb, ob sich die Stadt mit der Suche nach einem neuen Symbol einen Gefallen tue: "Viele Städte leben von ihrer Geschichte."

Mit der aktuellen Debatte symbolisiert die Stadt Wolgograd die Suche nach einer Balance zwischen dem Pflegen der Geschichte und dem Druck der Modernisierung. Viele bezweifeln allerdings, ob ein neues, offizielles Symbol dazu das geeignete Mittel ist. Der Wolgograder Heimatkundler Rostislaw Grechow warnte vor der Distanzierung von der Vergangenheit. "Die Stadt ist nun mal nicht bekannt wegen irgendwelcher Komponisten, Schriftsteller und Dichter", sagte er. "Falls sich Wolgograd zum Beispiel als Heimat der besten Milchkühe der Welt positionieren wollte, würden das die Ausländer nicht verstehen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1540372
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.12.2012
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.