Süddeutsche Zeitung

Mangelhaftes Bundeswehr-Sturmgewehr:Initiative zur Verbesserung des G36 blieb liegen

Lesezeit: 2 min

Von Christoph Hickmann

Bereits vor einem Jahr gab es in der Bundeswehr eine Initiative zur Verbesserung des umstrittenen Gewehrs G36, die offenbar nicht weiterverfolgt wurde. Das geht aus Dokumenten hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Vor diesem Hintergrund fordern die Grünen weitere Aufklärung von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU): Bleibe diese aus, müsse es einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss geben.

Im März 2014 legte das Amt für Heeresentwicklung unter dem Aktenzeichen 79-10-05 eine Initiative mit dem Titel "System Gewehr G36 Produktverbesserung" vor. Darin heißt es, das G36 habe sich "in nahezu 20 Jahren als Standardbewaffnung" bewährt - doch es seien "Eigenschaften des Systems G36 identifiziert worden, die sich als Fähigkeitslücke auswirken und die für die Streitkräfte im Einsatz dauerhaft nicht hinnehmbar sind".

Gefahr für Leib und Leben der Soldaten

So müsse die Waffe ergonomisch "an die aktuellen und künftigen Einsatzerfordernisse" angepasst werden, zudem solle man die "Möglichkeit zur Aufnahme leistungsfähiger Optiken, Nachtsicht- und Peripheriegeräte" schaffen. Außerdem wird gefordert, die Präzision müsse "auch nach intensivem Feuerkampf sowie bei erheblichen Änderungen der Außentemperatur" erhalten bleiben. Hintergrund sind die seit längerer Zeit diskutierten Präzisionsprobleme des G36 unter diesen Bedingungen.

Die Folgen beschreibt das Amt für Heeresentwicklung so: "Bei Inkaufnahme der Fähigkeitslücke verfügen die Streitkräfte mit dem System G36 als querschnittliche Hauptbewaffnung des einzelnen Soldaten auf kurze und mittlere Entfernungen nicht über die erforderliche Wirkung, Durchsetzungsfähigkeit und Fähigkeit zur Zieldiskriminierung im Einsatz. Dies erhöht im Umkehrschluss die Gefährdung für Leib und Leben der Soldaten im Gefecht."

Mangelnde Präzision könne den "Erfolg einer Gesamtoperation gefährden", heißt es

Ein "unpräziser Waffeneinsatz" könne "nicht nur die Wirksamkeit der eigenen Kräfte vor Ort", sondern "den Erfolg einer Gesamtoperation gefährden", heißt es weiter. Daher solle "die technische Machbarkeit der geforderten Fähigkeitsoptimierung umgehend untersucht werden, um der Truppe im Einsatz ein geeignetes, optimiertes System Sturmgewehr zur Verfügung stellen zu können". Es werde "empfohlen, diese Initiative mit hoher Priorität in die Mittelfristplanung aufzunehmen".

Zur Frage, wie mit der Initiative verfahren wurde, wollte sich das Verteidigungsministerium unter Verweis auf die anstehenden Untersuchungen zweier Expertengremien zum G36 nicht äußern. Der damalige Leiter der Abteilung Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung war bereits Anfang Juli 2014 im Verteidigungsausschuss gefragt worden, was es mit der Initiative auf sich habe. Damals sagte er dem in indirekter Rede gehaltenen Protokoll zufolge, die Initiative sei im Planungsamt der Bundeswehr eingegangen und werde dort bearbeitet. Sie sei ihm nicht vorgelegt worden, dies sei auch nicht geplant. Die Initiative habe, so wird er zitiert, "wenn überhaupt, nur sehr mittelbar mit den Themen zu tun, die man gegenwärtig bespreche".

Offenbar wurde die Initiative damals zurückgestellt, weil eine weitere Untersuchung des Gewehrs begann. Der Abteilungsleiter sagte Anfang Juli laut Protokoll, erst wenn deren Ergebnisse vorlägen, könne man die Initiative "wirklich umfassend bewerten". Der Abschlussbericht zu der Untersuchung soll an diesem Freitag vorgelegt werden. Unter Bezug auf vorläufige Ergebnisse hatte von der Leyen kürzlich Präzisionsprobleme des G36 eingeräumt.

Grüne drohen mit Untersuchungsausschuss

Vor dem Hintergrund, dass das Amt für Heeresentwicklung bereits vor einem Jahr Verbesserungen gefordert hatte, griff die Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger die Verteidigungsministerin an: In deren Amtszeit sei "die Vertuschungsstrategie beim G36 genauso weitergegangen" wie unter ihrem Vorgänger Thomas de Maizière. "Es wäre scheinheilig, die Schuld alleine ihren Vorgängern in die Schuhe zu schieben und sich als große Aufklärerin zu inszenieren", sagte Brugger. Stattdessen müsse von der Leyen "die Fehler in ihrer Amtszeit und die dafür Verantwortlichen" benennen sowie "ein für allemal diese verheerende Kultur in ihrem Ministerium" ändern. "Wenn das nicht geschieht, wird ein Untersuchungsausschuss diese Aufklärungsarbeit leisten müssen."

Bruggers Fraktionskollege Tobias Lindner sagte: "Frau von der Leyen hat sich das Ganze ein Jahr lang angeschaut." Die Frage sei, warum die Ministerin erst jetzt die Kommissionen zum G36 einsetze. Das Ministerium hatte stets darauf verwiesen, dass man erst die Ergebnisse der neuesten Untersuchungen abwarten wolle, bevor man handele.

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