Süddeutsche Zeitung

Romney wirbt um Wechselwähler:"Stimmt für mich, weil ihr dieses Land liebt"

Lesezeit: 4 min

An einem kalten Herbstabend feiern 18.000 Anhänger das Duo Romney/Ryan und wärmen sich an ihrer Wut auf Obama. Ein All-Star-Aufgebot der Republikaner attackiert den Präsidenten, so dass Romney den Wirtschaftsexperten und optimistischen Versöhner geben kann. Er spart nicht an Pathos und klingt fast wie Obama 2008.

Matthias Kolb, West Chester/Ohio

Es ist die Wut auf US-Präsident Obama, die die 18.000 Zuschauer an diesem kalten Herbstabend wärmt. Vor dem letzten Wahlkampf-Wochenende präsentieren sich die Republikaner voller Zuversicht. Sie sind sich sicher, dass Mitt Romney und Paul Ryan ins Weiße Haus einziehen werden. Die scharfen Attacken auf Obama überlässt der Kandidat dabei anderen. Romney präsentiert sich als Mann des Ausgleichs und Optimismus. Amerika habe eine strahlende Zukunft vor sich - wenn er gewählt werde.

"Ich will als Präsident nicht nur eine Partei repräsentieren, sondern die ganze Nation", ruft Mitt Romney der Menge in West Chester zu. Je länger der 65-Jährige an diesem Abend spricht, umso besser wird er - und umso pathetischer. Es komme nur auf die richtige Führung an und das Land werde wieder zu alter Stärke und Optimismus zurückfinden: "Wir Amerikaner geben nicht auf."

Wie in den drei TV-Debatten präsentiert sich Mitt Romney bei der größten Wahlkampf-Veranstaltung des Jahres als pragmatischer Politiker mit Wirtschaftskenntnissen, der zum Wohl des Landes mit den Demokraten zusammenarbeiten wolle. Als Beweis führt er seine Karriere an: Er wisse, wie man Jobs schafft (mit seiner Investmentfirma Bain Capital), Institutionen aus der Krise führt ( Organisator von Olympia 2002), den Staatshaushalt ausgleicht und mit der Opposition kooperiert (als Gouverneur von Massachusetts).

Die Ideen für seine besten Sprüche holt sich Romney bei seinem Gegner Barack Obama. Als dessen Fans am gleichen Nachmittag bei einem Event in Springfield laut "Buh" rufen, als der Name Romney fällt, entgegnet der US-Präsident: "Buht nicht, geht wählen. Wählen ist die beste Rache." Der Republikaner antwortet souverän: "Ihr sollt nicht abstimmen, um euch zu rächen. Ihr sollt abstimmen, weil ihr dieses Land liebt." Romney, der im Vorwahlkampf weit nach rechts gerückt war, klingt fast wie Obama 2008: "Wenn ihr echten Wechsel wollt, dann gebt mir eure Stimme."

Wer Präsident Obama in Hilliard erlebt hat und Stunden später in der Kälte (an die Journalisten wurden Decken und Handwärmer verteilt) seinem Herausforderer in einem Vorort von Cincinnati lauscht, dem wird klar: Mitt Romney geht mit einer positiveren Botschaft in den Wahlkampf-Endspurt. Auf harte Attacken auf den Präsidenten kann Romney verzichten, denn diese Aufgabe hat zuvor ein All-Star-Aufgebot an republikanischen Senatoren, Gouverneuren und Abgeordneten übernommen und die Menge wärmt sich sowieso an ihrer Wut auf den Demokraten. Dessen Schlachtruf "Four more years" wird in West Chester zu "Four more days" umgewandelt und bei jeder Gelegenheit gebrüllt.

Das All-Star-Team der Republikaner hat seinen Auftritt

Es ist eine Art Mini-Parteitag, den die Republikaner für ihre Schlussoffensive mit dem Titel "Romney Ryan Real Recovery Road Rallye" inszeniert haben - und anders als in Tampa entstehen eindrucksvolle Bilder. Die Bühne ist von Fans umgeben, die eifrig mit Stars-and-Stripes-Fähnchen winken, und als Romney und sein Vize Paul Ryan sprechen, stehen mindestens 50 Politiker in roten und blauen Fleece-Jacken hinter ihnen, um Unterstützung zu signalisieren.

Zu Beginn spielt Kid Rock eine Dreiviertelstunde lang für die Menge und hüpft bei "Born Free", der Hymne der Romney-Kampagne, begeistert auf seinem weißen Flügel herum. Nach und nach feuern alte und neue Lieblinge des konservativen Amerikas Breitseiten gegen Obama ab: Parteichef Reince Priebus brüllt, man müsse Obama feuern, um die Freiheit des Landes zu retten. Rudy Giuliani und John McCain schimpfen über die Reaktion der Regierung auf den Anschlag auf das US-Konsulat in Bengasi und orakeln über Vertuschung. Romney, so McCain, werde nicht wie Obama im Ausland auf Entschuldigungstour gehen - einer von vielen Vorwürfen, die Fact-Checker seit Monaten als falsch einstufen, aber in West Chester ständig wiederholt werden, weil sie bei der Basis so gut ankommen.

Andere, wie Louisianas Gouverneur Bobby Jindal. singen ein Loblied auf das small business und dem konservativen Shooting-Star Marco Rubio verzeiht die Menge sogar einen Witz auf Kosten von Ohio: "Das Wetter hier ist genau wie in meiner Heimat Florida. Also, wie in meinem Kühlschrank in Florida." Ansonsten umschmeicheln die Redner die Menschen in Ohio, die alles für einen Sieg der Republikaner in ihrem Staat tun müssten, damit sie einmal ihren Kindern und Enkeln erzählen könnten, dass sie bei der "wichtigsten Wahl unseres Lebens" auf der richtigen Seite gestanden hätten, wie es Senator Rubio formuliert.

Deswegen bitten gerade die Politiker aus Ohio, wie Gouverneur John Kasich oder John Boehner, der Sprecher des US-Repräsentantenhauses, die Bürger, ihre Stimme schon vor Dienstag abzugeben und sich bis dahin als Freiwilliger für Romney zu engagieren - exakt die gleichen Bitten war am Morgen bei Obamas Auftritt zu hören.

Den größten Applaus bekommt jedoch nicht Mitt Romney, sondern dessen Stellvertreter Paul Ryan. Der wurde zwar in Wisconsin geboren und hat dort seinen Wahlkreis, aber Ryan hat vier Jahre lang in Ohio studiert und hier erste Erfahrungen als Wahlkämpfer gemacht. Der 42-Jährige wird gefeiert wie ein verlorener Sohn, erntet Jubelstürme für seine volksnahe Art und das überschwängliche Lob auf Romney. Dieser sei ein erfolgreicher Geschäftsmann gewesen und in Amerika habe man sich noch nie für Erfolg schämen müssen, ruft Ryan strahlend.

Das ist die Lehre aus dem Auftakt der "Romney Ryan Real Recovery Road Rallye": Die Republikaner sind ebenso von einem Sieg ihres Kandidaten überzeugt wie die Demokraten, die ihre Hoffnungen in den zuletzt so kämpferischen Obama setzen. Romneys Fans wirken im wahlentscheidenden swing state Ohio sogar noch euphorischer und motivierter. Dennoch: Wer am kommenden Dienstag in Ohio und im ganzen Land die Nase vorn haben wird, das vermag heute niemand seriös vorherzusagen.

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