Süddeutsche Zeitung

Rheinland-Pfalz:Wie es die Freien Wähler in den Mainzer Landtag schafften

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Ihr Spitzenkandidat Joachim Streit wählte eine ungewöhnliche Methode, um die Gruppierung bekannt zu machen.

Von Gianna Niewel, Mainz

Kurz vor der Landtagwahl lud der SWR die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten nach Mainz ins Studio, da saßen sie auf Abstand, Malu Dreyer von der SPD, Christian Baldauf von der CDU, und ein Mann in einem royalblauen Anzug. Er sagte, den trage er im Wahlkampf immer.

Seit Sonntagabend dürften die meisten Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer auch seinen Namen kennen, Joachim Streit, Spitzenkandidat der Freien Wähler, die mit 5,4 Prozent in den Landtag einzogen sind. Zum ersten Mal. Aber wer ist er?

Joachim Streit, geboren 1965, aufgewachsen in Bitburg. Der Vater Straßenwärter, die Mutter Verwaltungsangestellte. Die Kumpels auf dem Schulhof nennen ihn "Jocki", und weil er sich für Ökologie interessierte, wurde daraus Ökki. Ökki studierte Rechtswissenschaften, aber für Umweltschutz interessiert er sich nach wie vor. Wieso nicht politisch aktiv werden?

Er gründet die "Liste Streit" und schafft es 1989 in den Stadtrat, da ist er 24 Jahre alt. Er hat Zeit. Und er hat Geduld. Als der Bürgermeister ankündigt, nicht mehr antreten zu wollen, zieht er von Straße zu Straße, klingelt an Haustüren, stellt sich den Menschen vor. 1997 wird Joachim Streit Bürgermeister von Bitburg.

Was ihm half: Seine Nähe zu den Menschen

Bitburg liegt im Westen von Rheinland-Pfalz, hier gelten zwei Dinge als sicher: Erstens, wir brauen das beste Bier. Zweitens, der Landrat ist in der CDU. Aber Joachim Streit hat Zeit, auch als Bürgermeister, er kann warten. Als dann der Landrat tatsächlich nicht mehr antritt, setzt er auf das, was ihm schon früher geholfen hatte: die Nähe zu den Menschen. Diesmal zieht er nicht von Straße zu Straße, sondern von Dorf zu Dorf, von Lünebach nach Lützkampen. 2009 wird er Landrat, 2017 wird er wiedergewählt, mit 88 Prozent.

Jetzt also Landtag? Noch mal eine Nummer größer?

Am Telefon sagt Joachim Streit, so überraschend sei das alles nicht, schließlich hätten seine Freien Wähler eine gute Strategie gehabt. War die Partei bei vergangenen Wahlen mit vier Bezirkslisten und vier Spitzenkandidaten angetreten, stellten sie dieses Mal eine Landesliste auf und einen Spitzenkandidaten. Aber für den ist es nicht leicht, die Menschen zu erreichen. Ein Bundesland ist kein Landkreis. Und Corona verlangt keine Nähe, sondern Distanz. Also erklärte Streit bei Facebook und Instagram, was seine Partei will: Krankenhäuser erhalten, Kommunen entschulden, den ländlichen Raum stärken. Er hatte auch dafür geworben, dass kleine Geschäfte wieder öffnen dürfen, unter anderem mit dem nicht ganz so ernsten Versprechen, sich einen Anzug zu kaufen, der nicht royalblau ist.

Seine Frau sitzt im Bitburger Stadtrat

Das übrigens, sagt Joachim Streit, war auch Teil der Strategie. Als sie Fotos für die Plakate gemacht hätten, habe er den Anzug getragen, und als die Plakate dann vor Hecken und Büschen standen, habe das gut ausgesehen. Blau vor Grün. Sein Berater habe gesagt, er solle den einfach immer anziehen. "Und ich hab' mir gedacht, warum eigentlich nicht?"

Während Joachim Streit seine Sakkos bald in einem Zimmer im Mainzer Abgeordnetenhaus aufhängen kann, muss er sich keine Sorgen machen, dass er zu Hause in Vergessenheit geraten könnte. Die "Liste Streit" gibt es noch immer, seine Frau sitzt im Bitburger Stadtrat. Sein Sohn Jakob, eines von drei Kindern, hat sich für die Freien Wähler um ein Direktmandat im Landtag beworben, er schaffte 18,7 Prozent, es reichte nicht. In einem Interview sagte Jakob Streit, dass er zwar gerade noch Zentralbankwesen studiere, aber eine Karriere in der Politik nicht ausschließe. Auf dem Foto sieht er seinem Vater ähnlich, schmales Gesicht, hohe Stirn. Nur der Anzug, der ist dunkelblau.

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