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Rentenangleichung:Wie einst die Punktevergabe bei "Tutti Frutti"

Lesezeit: 2 min

Die Diskussion über die Rentenangleichung in Ost und West ist kompliziert und emotional aufgeladen. Verhandelt wird die Frage nach der Gerechtigkeit. Diese Aufgabe ist extrem knifflig: Jung gegen Alt, Ost gegen West. Und was ist eigentlich mit der Erziehungsleistung von Müttern?

Kommentar von Cornelius Pollmer

In der Nacht zum Mittwoch schauerten die Perseiden am Nachthimmel, die letzten Sternschnuppen waren kaum verglüht, da überlieferte die Sächsische Zeitung einen Wunsch der Bundeskanzlerin. Auf die Frage, wann endlich mit einer Angleichung der Rentenwerte Ost und West zu rechnen sei, sagte Angela Merkel, sie strebe ein Gesetz an, das den Fahrplan festschreibe - bis 2020 solle die Renteneinheit dann erreicht sein. Eine gute Nachricht für den Osten? Vermutlich gilt in diesem Fall eher die alte Regel, dass ein Wunsch nur dann in Erfüllung geht, wenn man ihn für sich behält.

Die Diskussion um die Angleichung der Rentenwerte in Ost und West ist ein innenpolitisches Murmeltier, es grüßt nicht täglich, aber doch verlässlich alle Jubeljahre wieder. "Es wäre sinnvoll, wenn das noch in der gemeinsamen Regierungszeit von Union und SPD gelingt", sagte der Regierungssprecher im November 2008, er hieß noch nicht Seibert, sondern Wilhelm.

Ein knappes Jahr später, kurz vor der Bundestagswahl, gab die Bundeskanzlerin zu Protokoll, sie strebe eine parteienübergreifende Lösung in der kommenden Legislaturperiode an. Jetzt hilft wieder ein Blick in den Wahlkalender, um zu begreifen, warum es an der Zeit war, diesen Wunsch zu erneuern: In drei ostdeutschen Bundesländern werden in den kommenden Wochen neue Landtage gewählt.

Unter den kniffligen Aufgaben eine besonders knifflige

Zwischenfazit: Die Angleichung wird regelmäßig gefordert und dann doch wieder auf die lange Regierungsbank geschoben. Dies als reine Willkür zu deuten griffe zu kurz. Wie so viele Unterpunkte des Großkomplexes Rente weist auch jener der Ost-West-Angleichung zwei umsetzungshemmende Eigenschaften auf. Das Thema ist erstens ziemlich kompliziert, und zweitens emotional aufgeladen.

Anwartschaften ergeben sich aus der Multiplikation von Entgeltpunkten mit einem Rentenwert, der im Osten bei 26,39 Euro, im Westen aber . . . kurzum: Wer sich nicht intensiver mit der Berechnung beschäftigt, dem kann sie ähnlich erratisch erscheinen wie einst die Punktevergabe bei "Tutti Frutti". So viel zu den Komplikationen.

Emotional aufgeladen ist die Diskussion, weil dies in der Natur des Prinzips Rente liegt. Die finanzielle Anerkennung von Lebensleistung ist das Feld, auf dem kerngesellschaftliche Fragen nach Gerechtigkeit verhandelt werden müssen. Jung gegen Alt, Ost gegen West, und was ist eigentlich mit der Erziehungsleistung von Müttern?

Die Angleichung der Rentenwerte ist unter diesen kniffligen Aufgaben eine besonders knifflige. Zum einen, weil fraglich ist, ob über diese Stellschraube überhaupt Gerechtigkeit zu erreichen ist. Viele Alte im Westen beziehen eine zusätzliche Betriebsrente oder eine üppige Beamtenpension, diese Differenz wird man mit einem Eingriff ins Formelwerk nicht wegrechnen können.

Ein solcher würde, zum anderen, nicht pauschal alle Ost-Rentner besserstellen, es gäbe nicht wenige Härtefälle. Das mögliche Optimum wäre also ausgleichende Ungerechtigkeit - auch deswegen scheint eine Einigung fern zu sein.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2014
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