Süddeutsche Zeitung

Regierungserklärung:Merkel sendet ein forsches Signal an ihre Gegner

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Die Kanzlerin gibt der CSU im Bundestag ein deutliches Signal: Sie kapituliert nicht im Flüchtlingsstreit. Durch ihre Rede, die engagierter ist als andere, weckt sie Erinnerungen an ihren Vorgänger im Kanzleramt.

Kommentar von Nico Fried, Berlin

Die Rednerin Angela Merkel ist durchaus in der Lage, zermürbende Langeweile zu verbreiten. In ihrer Regierungserklärung vor dem EU-Gipfel war es diesmal anders. Die Kanzlerin sprach nicht nur ungewöhnlich engagiert; Merkel ließ auch erkennen, dass sie im Streit um die Migration nicht ihre Kapitulation vorbereitet. Die Rede kam als forsches Signal an ihre politischen Gegner daher, von denen bekanntlich nicht wenige in den eigenen Reihen sitzen.

Merkels Rede erinnerte an den Auftritt Gerhard Schröders vor der Vertrauensfrage 2005, als er mutwillig Neuwahlen herbeiführte. Auch Merkels Vorgänger war kein großer Regierungserklärer, aber damals sprach er befreit und fesselnd, nicht nur angriffslustig gegenüber der Opposition, sondern auch ehrlich und kritisch zu den eigenen Leuten. Merkel muss noch keine Neuwahlen herbeiführen, aber unter starkem Druck steht sie auch. Und so wählte sie einen ähnlichen Weg.

Die Kanzlerin weiß, dass es vielen Kritikern im aktuellen Streit darum geht, ihre Flüchtlingspolitik endgültig als Fehler zu etikettieren - auch das übrigens eine Parallele zu Schröders Kämpfen um die Agenda-Politik. Am jetzigen Streit um eine Schließung der Grenze im nationalen Alleingang - und sei es nur für bestimmte Asylbewerber - ist das Symbolische das Grundsätzliche. Deshalb hat Merkel in ihrer Rede mit dem Rückblick auf den September 2015, als sie genau diesen Schritt vermieden hatte, nicht nur chronologisch weit ausgeholt. Sie hat auch politisch all die Vorwürfe, die ihr aus der CSU um die Ohren gehauen wurden, aufgegriffen - und zwar in der Art, wie man Klöße isst: einen nach dem anderen.

Merkel hat die Defizite nicht bestritten, aber das Erreichte betont

Mit der Aufzählung all der Europäer, die an der Entscheidung zur Aufnahme der Flüchtlinge aus Budapest beteiligt waren, von Viktor Orbán über Werner Faymann bis zu den Außenministern, die in Luxemburg tagten, trat sie Horst Seehofers Vorwurf entgegen, sie habe Europa gespalten. Mit ihrem Referat zur juristischen Lage begegnete sie Alexander Dobrindts Behauptung, es gehe der CSU nur darum, geltendes Recht umzusetzen. Mit der Aufzählung der Vereinbarungen zwischen der EU und den Balkanstaaten, dem EU-Türkei-Abkommen, bis zur Mittelmeer-Mission Sophia konterte die Kanzlerin Markus Söders Pauschalvorwurf, seit drei Jahren warte man vergeblich auf die eine europäische Lösung.

Da ist nicht jedes Argument restlos überzeugend. Aber Merkel betont stets das Erreichte. Es spricht viel dafür, dass sie nach der Einigung auf dem EU-Gipfel in dieser Melodie auch ihr Angebot an die CSU intoniert. Die Kanzlerin hat angekündigt, dass ein Anfang gelingen könne, sie die perfekte Lösung aber nicht mitbringen werde. Also wird sie die Schwesterpartei vor die Frage stellen, ob die das Unfertige, wovon die CSU sogar behaupten darf, sie habe es mitbewirkt, gleich wieder gefährden will - um den Preis eines politischen Bebens.

Merkels Risiko ist überschaubar. Es ist letztlich nicht die CSU, die sie überzeugen, sondern die CDU, die sie bei der Fahne halten muss. Den CSU-Machtkampf zwischen Horst Seehofer, Alexander Dobrindt und Markus Söder wird sie mit Argumenten nicht beeinflussen. Seehofer, der mit seinem Vorhaben kläglich gescheitert ist, Söder als Ministerpräsidenten zu verhindern, muss nun ausbaden, dass alles eintritt, wovor er selbst immer gewarnt hat. So gesehen weiß Seehofer auch gut, was er an Merkel hat.

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SZ vom 29.06.2018
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